Zeigt Le Pen ihr wahres Gesicht?

Die Chefin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, hat Frankreichs Beteiligung an der Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg bestritten. Frankreich sei nicht verantwortlich für die Razzia des Vélodrome d'Hiver in Paris, bei der 1942 Tausende in die Vernichtungslager der Nazis transportiert wurden. Die Presse kritisiert Le Pens Aussage und wirft ihr eine kalkulierte Provokation kurz vor der Präsidentschaftswahl vor.

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La Croix (FR) /

Wer Fehler leugnet, blendet auch Gutes aus

Junge Franzosen sollen wieder stolz auf ihr Land sein können. So begründet Marine Le Pen ihre Leugnung der Mitverantwortung Frankreichs an der Deportation von Juden. La Croix kann diese Logik nicht nachvollziehen:

„Kann echter Stolz auf einem Lügenkonstrukt errichtet werden? Frankreich ist keine ontologische Einheit. Seine Geschichte wurde von Männern und Frauen geprägt. Im Zweiten Weltkrieg haben einige von ihnen mit der Nazibesatzung kollaboriert, aber es gab auch viele Franzosen, die im Widerstand gekämpft haben oder ganz einfach ein Minimum an menschlicher Solidarität an den Tag gelegt haben. Und dadurch konnten drei Viertel der Juden unseres Landes der Vernichtung entkommen. Es ist einer der höchsten Anteile unter allen von Deutschland besetzten Ländern. Anerkennen, dass Franzosen Fehler begangen haben, bedeutet auch, frei feststellen zu können, dass andere zu Ehren der Menschlichkeit und ihres Landes gehandelt haben.“

De Volkskrant (NL) /

Le Pen will nationalistische Gefühle schüren

Marine Le Pen hat mit ihrer Aussage bewusst provoziert, kritisiert De Volkskrant:

„Sie distanziert sich vom wohlmeinenden Frankreich, das angesichts der dunklen Kapitel der französischen Geschichte Buße tun will. Sie plädiert für eine patriotische Geschichtsschreibung. ... Die Geschichte des Zweiten Weltkrieges ist für den Front National ein Minenfeld. Parteigründer Jean-Marie Le Pen wurde immer für seine Aussage scharf kritisiert, dass Gaskammern 'nur ein Detail der Geschichte' waren. ... Marine Le Pen warf daher ihren Vater aus der Partei und erklärte, dass der Holocaust 'die schlimmste aller Barbareien' war. Daher ist es hart, die Tochter mit ihrem schlechten Vater in einen Topf zu werfen. ... Dennoch muss man ihre Provokation verurteilen als einen Versuch, den Schandfleck der französischen Geschichte unsichtbar machen, um so nationalistische Gefühle zu schüren.“

De Standaard (BE) /

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

Mit der Äußerung über die Judenverfolgung während des Zweiten Weltkriegs, zeigt Marine Le Pen nach Ansicht von De Standaard, dass sie ganz nach ihrem Vater, dem Gründer des rechtsextremen Front National, kommt:

„Sie wusste nur allzu gut, dass sie den Front National salonfähig machen musste, wenn sie mit ihrer Partei die Macht erobern wollte. ... Bemerkungen von ihrem Vater, dass die 'Gaskammern nur ein historisches Detail' sind, waren stets kontraproduktiv. Doch hatte sie sich wirklich von den Standpunkten ihres Vaters distanziert oder geschah das nur aus wahltaktischem Kalkül? ... Ihre Äußerungen jetzt beweisen Letzteres, sagen Le Pens Gegner. ... Dass es ein Ausrutscher oder ein Versprecher war, ist unwahrscheinlich. Hat sie es getan, weil ihr Vorsprung in den Umfragen schrumpft? ... Der Front National ist nun jedenfalls einen Schritt weiter vom Ziel entfernt, die Partei salonfähig zu machen.“