Streit um todkranken Alfie Evans

Der an einer unbekannten neurologischen Krankheit leidende 23 Monate alte Alfie Evans darf seine britische Heimat nicht für eine medizinische Behandlung verlassen. Lebenserhaltende Maßnahmen seien sinnlos, bestätigte ein Gericht in Manchester. Papst Franziskus und Unterstützer der Eltern hatten sich für weitere Behandlungen eingesetzt. Sollen die Ärzte weiter um das Leben des Jungen kämpfen?

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La Stampa (IT) /

Kinder sind nicht Eigentum der Eltern

An erster Stelle steht das Interesse des Kindes, erklärt der Jurist Vladimiro Zagbrebelsky in La Stampa:

„Wer sich auf die Seite der Eltern und gegen die Ärzte stellt, steht auf dem Standpunkt, dass das entscheidende Urteil den Eltern zusteht. ... Doch die Beziehung zwischen Eltern und Kind baut auf Verantwortung auf, nicht auf Besitz. Sollte die Verhaltensweise der Eltern also nicht im Interesse des Kindes sein, muss diesen gar das Sorgerecht entzogen werden. Sicher, die Meinung der Eltern ist wichtig. Doch sie ist kein unüberwindbares Hindernis, wie diejenigen glauben, die in der Entscheidung der Ärzte und der Richter einen Missbrauch sehen. Wenn sich ein möglicher Konflikt zwischen dem Willen der Eltern und dem Interesse des Kindes abzeichnet, bedarf es des Urteils eines Außenstehenden. Ein Urteil, das zuerst die Ärzte und dann die Richter fällen müssen.“

The Times (GB) /

Urteil der Ärzte und Richter akzeptieren

Einige Pro-Life-Gruppen missbrauchen den Fall, um ihre fragwürdige Agenda voranzutreiben, kritisiert The Times:

„Wirkliche Unterstützung für die Eltern von Alfie Evans würde darin bestehen, den beiden in dieser außergewöhnlich schwierigen Zeit dabei zu helfen, zu verstehen, dass die Gerichte und Krankenhausmitarbeiter auf ihrer Seite und auf der ihres Sohnes sind - und nicht gegen sie. Stattdessen sind falsche Hoffnungen genährt worden, und Alfies Schicksal diente als Vorwand, Demonstrationen vor dem Krankenhaus abzuhalten, die nur wenig mit diesem konkreten Fall zu tun haben. Eine Gesellschaft mit rechtsstaatlichen Prinzipien muss in diesen seltenen, aber herzzerreißenden Situationen Ärzte und Gerichte befragen und letztlich deren Urteile akzeptieren.“

wPolityce.pl (PL) /

Ist Großbritannien noch ein Rechtsstaat?

Die national-konservative Tageszeitung WPolityce.pl kritisiert die Entscheidung britischer Richter, die lebenserhaltenden Maßnahmen für Alfie Evans abzustellen, und stellt die Rechtsstaatlichkeit Großbritanniens infrage:

„Sind die Heuchler, die sich so darüber freuen, dass ein weiteres 'Royal Baby' zur Welt gekommen ist, fähig, den Lebenswillen eines anderen kleinen Jungen wahrzunehmen? Ist in einem Land, in dem sich Wert durch Wirtschaftswachstum bemisst, noch Raum für die Aufopferung für ein behindertes Kind? Ist ein Land, in dem man im Namen des Rechts und gegen den Willen der Eltern tötet, noch ein Rechtsstaat? Äußert sich die EU endlich zu der Angelegenheit? Werden die EU-Kommissare, die mit solcher Hingabe gegen die Abholzung kranker Bäume im Bialowieża-Regenwald kämpfen, auch um das Leben eines kranken Jungen kämpfen?“

La Repubblica (IT) /

Fragwürdige Verlängerung des Leids

Die Einmischung Roms in eine medizinisch-juristische Frage Großbritanniens findet die Philosophin Michela Marzano in La Repubblica unverständlich:

„Auch unter ethisch und rechtlichem Gesichtspunkt. Vor einigen Monaten wurde schließlich auch in Italien ein Gesetz verabschiedet, das es Ärzten verbietet, Patienten 'sinnlosen oder unverhältnismäßigen' Therapien zu unterziehen. Wie kann man da ein Kind nach Italien holen, dessen Leben nur noch mit dem verbissenen Einsatz der Medizin verlängert wird? Es ist kein Zufall, dass auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Klage der Eltern von Alfie ablehnte, um nicht mit dem Urteil der britischen Gerichtshöfe in Konflikt zu geraten: Es besteht kein Grund, an der ärztlichen Einschätzung zu zweifeln, dass es bedeutet Alfie weitere Schmerzen zuzufügen, wenn man das Kind am Leben erhält.“

Avvenire (IT) /

Keine Chance ungenutzt lassen

Rom handelt richtig, indem es dem Kind eine weitere Überlebenschance beschert, lobt die katholische Tageszeitung Avvenire:

„Dass die britischen Ärzte sagen, es bleibe keine andere Wahl, als die Maschinen abzustellen und das Kind sterben zu lassen/zu töten, ist nur ihre Meinung. Sie haben aufgegeben. Doch wenn andere Ärzte auf dieser Welt, andere exzellente Krankenhäuser, dem Patienten eine alternative Therapie anbieten, wenn sie versuchen wollen, die unbekannte Krankheit zu diagnostizieren, verstieße es gegen die medizinische Ethik, eine Überweisung zu verhindern.“