Gaza: Was kann die Gewalt stoppen?

Nach der Ausweitung der Bodenoffensive im Gazastreifen wächst die Kritik am Vorgehen des israelischen Militärs. Zudem sind in unmittelbarer Nähe von Hilfsgüterausgaben durch die von Israel und den USA unterstützte Gaza Humanitarian Foundation (GHF) mehrfach Schüsse gefallen, es gab Tote und Verletzte.

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Kathimerini (GR) /

Rachefeldzug statt Rekonvaleszenz

Die in Tel Aviv und Athen lebende Autorin Avirama Golan schreibt in Kathimerini:

„Die Bürgerinnen und Bürger meines Landes lassen sich von dieser gewalttätigen Rhetorik mitreißen, doch sie wirken machtlos, verängstigt und desorientiert. Ihr Staat hat sein grundlegendstes Versprechen gebrochen: sie zu schützen. Und anstatt mit der gewaltigen Aufgabe der physischen und psychischen Genesung von der größten Katastrophe in seiner Geschichte zu beginnen, hat er sich auf einen Rachefeldzug eingelassen, dessen Ende nicht abzusehen ist. Die wenigen Israelis, die sich weigern nachzugeben, die jede Woche Protestkundgebungen gegen die Aufgabe der Geiseln abhalten und ein Ende des Mordens fordern, werden von der Polizei mit unglaublicher Gewalt behandelt.“

Le Monde (FR) /

Grundversorgung ist Besatzerpflicht

Le Monde kritisiert:

„Nach dem Zutrittsverbot zu dem Gebiet für die internationale Presse bestätigt das Umgehen ausländischer Akteure wie der UN-Agenturen – die in solchen Situationen jedoch unersetzbar sind – den Willen der israelischen Behörden, jedes noch so kleine Eckchen des Gazastreifens unbeobachtet wiederzubesiedeln. Dies ist ihre eigentliche Priorität und nicht die Auslieferung von ausreichend Hilfsgütern für über zwei Millionen Menschen, die mehr schlecht als recht unter den Bomben auf einem von der Welt abgeschnittenen Gebiet überleben. Diese Versorgung gehört jedoch zu ihren Pflichten als Besatzungsmacht.“

Corriere del Ticino (CH) /

Beziehung zu Israel langfristig denken

Corriere del Ticino warnt vor Überreaktionen gegenüber Israel:

„Einige fordern explizit, die kulturellen und akademischen Beziehungen zu Israel zu boykottieren, die wissenschaftliche und geheimdienstliche Zusammenarbeit auszusetzen, die Herkunft israelischer Handelsprodukte zu melden, mit anderen Worten, Israel weitgehend zu isolieren. Das wären extremistische, radikale und gefährliche Lösungen, die auch die Zukunft belasten, wenn dieser Krieg einmal vorbei ist und die Regierung Netanjahu abgelöst. So eine Politik bedeutet, dem wachsenden Antisemitismus und in gewissem Sinne auch der Feindseligkeit der Terroristen gegenüber Israel Auftrieb zu geben. ... Europa und die Schweiz sind verpflichtet, eine nicht auf Konfrontation ausgerichtete Vision auszuarbeiten.“

Financial Times (GB) /

Zweistaatenlösung bleibt der einzige Ausweg

Der Politologe Ali Schihabi analysiert in einem Gastbeitrag für die Financial Times:

„Die Expansionspolitik in den besetzten Gebieten des Westjordanlands und nun auch im Gazastreifen etabliert einen Teufelskreis aus Gewalt und Radikalisierung. Die Vertreibung der Palästinenser, die Aushöhlung der Palästinensischen Autonomiebehörde und die Militarisierung der israelischen Gesellschaft haben die Israelis zu einer Zukunft verdammt, die von Angst, Paranoia und fortwährenden Konflikten geprägt ist. ... Solange Israel keine konkreten Schritte in Richtung einer Zweistaatenlösung unternimmt, die den Palästinensern Hoffnung gibt, wird das Land in einem sinnlosen, selbstverschuldeten Kreislauf der Gewalt gefangen bleiben.“

centrulpolitic.ro (RO) /

In der Sackgasse

Die starren Verhandlungspositionen auf beiden Seiten beklagt centrulpolitic.ro:

„Die Hamas fordert eine dauerhafte Waffenruhe, einen kompletten Abzug Israels und Garantien für eine nachhaltige humanitäre Hilfe. Israel besteht auf der totalen Kapitulation der Hamas, der bedingungslosen Freilassung aller Geiseln und der Entmilitarisierung des Gazastreifens unter israelischer Aufsicht. Diese unvereinbaren Bedingungen gefährden permanent jeglichen diplomatischen Fortschritt. Ägypten und Katar, traditionelle Vermittler im israelisch-palästinensischen Konflikt, haben ihren Frust über die Unnachgiebigkeit beider Seiten zum Ausdruck gebracht. Und auch den US-Gesandten ist es nicht gelungen, Vorschläge zu unterbreiten, die für beide Seiten akzeptabel sind.“

El País (ES) /

Israels Gründungsideale werden vergessen

Kolumnist Lluís Bassets bedauert in El País die Gleichgültigkeit vieler Israelis:

„Laut einer von der Universität von Pennsylvania in Auftrag gegebenen Umfrage stimmen von 1.005 jüdischen israelischen Bürgern 82 Prozent der Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen zu. ... Der blutige Krieg schreitet voran, weil der psychologische Krieg bereits von jenen gewonnen wurde, die nicht nur das Leiden der anderen leugnen, sondern auch deren Existenzrecht. ... Wenn Gaza aufhört, als von Palästinensern bewohntes Gebiet zu existieren, wird auch Israel aufhören, als säkulare Idee eines zionistischen und demokratischen Staates zu existieren. Israel wird für niemanden mehr ein Bezugspunkt sein, weder für Demokraten noch für Juden in der ganzen Welt.“

Milliyet (TR) /

Volk muss Netanjahu zur Verantwortung ziehen

Die regierungsnahe türkische Milliyet meint:

„Seit seiner Gründung im Jahr 1948 durchlebt Israel die schwierigsten Zeiten seiner Geschichte. ... In einer Zeit, in der selbst Deutschland, das Israel aus Reue und historischer Scham immer bedingungslos unterstützt hat, nicht mehr schweigen kann, und in der beim Champions-League-Finale Transparente mit der Aufschrift 'Stoppt den Völkermord in Gaza' entrollt werden, gibt es nur einen Schritt, den Israel tun kann: Israel muss Premier Netanjahu loswerden und ihm die gesamte Schuld aufbürden.“

Politiken (DK) /

Kinder haben niemals Schuld

Dass sich Dänemark bislang nicht an der medizinischen Behandlung verletzter Kinder aus dem Gazastreifen beteiligt, empört Politiken:

„Wenn die WHO die Evakuierung der leidenden Kinder aus Gaza fordert, dann deshalb, weil diese Kinder dringend spezialisierte medizinische Versorgung benötigen. ... Die Tatsache, dass die lebensbedrohten Kinder aus Angst und Hass gegenüber der Hamas abgewiesen werden, ist gleichbedeutend damit, die Kinder für den Krieg verantwortlich zu machen. Nichts könnte ungerechter sein.“