Krim-Amoklauf: gefundenes Fressen für die Medien?

Bei einem Amoklauf am Mittwoch in einer Berufsschule in Kertsch auf der Krim sind 20 Menschen getötet worden. Ein 18-Jähriger hatte um sich geschossen und mindestens einen Sprengsatz gezündet. Wie russische Medien den Vorfall aufgriffen, beschäftigt Kommentatoren in Russland und der Ukraine.

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Unian (UA) /

Leider kein ukrainischer Saboteur

Der Russland-Korrespondent von Unian, Roman Zymbaljuk, glaubt, dass Russlands Medien den Amoklauf gerne anders ausgeschlachtet hätten:

„Die größte Enttäuschung für die russische Propaganda und die professionellen Hetzer gegen die Ukraine war, dass das Verbrechen kein Terroranschlag ist. Dass ihn nicht von der Nato trainierte, gnadenlose ukrainische Sabotage-Agenten auf Befehl des Weißen Hauses verübten. ... Es war ein verbrecherischer Einzelgänger. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass er ein ständiger Konsument des russischen Fernsehprogramms war, wo ohne Unterlass über ukrainische 'Verbrechen' berichtet wird. Denn sobald die Ausnahmesituation in Kertsch bekannt wurde, begann das russische Fernsehen, die Kriegstrommeln zu schlagen und von ukrainischen Saboteuren und Terroristen zu erzählen.“

Nowaja Gaseta (RU) /

Journalisten sollten sich zurückhalten

Der Politologe Wsewolod Tschernosub fordert in Nowaja Gaseta Besonnenheit bei der Berichterstattung über Schulmassaker, um Nachahmungstäter nicht zu stimulieren:

„Es gibt eine einzige vernünftige Reaktion auf das 'Columbine' von Kertsch: völliges Ignorieren. ... Für die Medien sind Shootings, Columbines und andere Exzesse jedoch eine wunderbare Chance, Likes zu sammeln, Pageviews zu generieren und die Aufmerksamkeit übersättigter Informationskonsumenten an sich zu binden. Die 'Nachteile' - sofern man dieses Wort benutzen kann, wenn es um das Leben von Kindern geht - muss die Gesellschaft tragen. Leider sind die russischen Medien in ihrer Mehrzahl durch staatliche Kontrolle, Themenvorgaben und Zensur so unterdrückt, dass eine freiwillige Beschränkung bei der Berichterstattung über die verbleibenden heißen Themen unmöglich scheint.“