George-Floyd-Prozess: Chauvin schuldig gesprochen

Im Fall George Floyd haben die Geschworenen des Gerichts in Minneapolis den Ex-Polizisten Derek Chauvin in allen Anklagepunkten für schuldig befunden. Die Anklage umfasste drei Punkte: Mord zweiten Grades, Mord dritten Grades und Totschlag zweiten Grades. Kommentatoren würdigen das Urteil als historisch und aussichtsreichen Anfang im Kampf gegen rassistische Polizeigewalt.

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Financial Times (GB) /

Das gute Gesicht der Strafverfolgung

Der Tod George Floyds hat viel bewegt, glaubt Financial Times:

„Die Proteste von Black Lives Matter und die patzigen Reaktionen von Ex-Präsident Donald Trump halfen bei den Wahlen 2020, das Blatt zu wenden. Mit Sicherheit wurden zuvor zurückhaltende Unternehmen animiert, einen neuen sozialen Aktivismus zu fördern – und das nicht nur in den USA. Und all das schon vor dem Schuldspruch Chauvins, der zumindest einen Knacks in der Kultur der Straflosigkeit von Polizisten bedeutet. Der Schuldspruch war das Resultat eines fairen, zügigen und friedlichen Prozesses vor den prüfenden Augen der Weltöffentlichkeit. Die Geschichte begann mit dem Schlimmsten, was in der Strafverfolgung denkbar war. Nun zeigt sie deren ganz andere Seite.“

Hospodářské noviny (CZ) /

Warten auf die nächste Explosion

Für Hospodářské noviny ist die Allgegenwärtigkeit von Waffen in den USA das eigentliche Problem:

„Polizisten müssen immer mit Schüssen rechnen. Dies führt zu harten Polizeimethoden und damit zu vielen tragischen Fehlern. Und wenn die Opfer Schwarze sind, wird der bereits explosiven Mischung der Katalysator des Rassismus hinzugefügt. ... Es gibt Forderungen nach finanziellen und personellen Kürzungen bei der Polizei, aber gleichzeitig erreichten die Waffenverkäufe in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres Rekordzahlen. Die Demokraten im Kongress drängen auf eine Polizeireform, die den rechtlichen Schutz der Beamten erheblich verringern würde, doch die Republikaner wollen davon nichts hören.“

Dagens Nyheter (SE) /

Jetzt ist echte Veränderung möglich

Für Dagens Nyheter kam es zu diesem Schuldspruch, weil unter anderem die Experten der Polizei sich klar geäußert hatten. Dies gebe Anlass zur Hoffnung:

„Jetzt scheint die blaue Mauer des Schweigens gebrochen. Viel spricht dafür, dass der Prozess gegen Derek Chauvin einen abschreckenden Effekt hat. Das kann auch andere Staatsanwälte dazu inspirieren, andere Fälle zu Diskriminierung und Gewalt bei der Polizei voranzutreiben. Aber die Frage ist, was auf Dauer passiert - ob die Polizeibehörden in den USA eher bereit sind, die verbreiteten Probleme mit Rassismus und Polizeigewalt anzugehen, oder ob sie sich dazu entschließen, Chauvin als einzelnes schwarzes Schaf zu sehen.“

The Independent (GB) /

Unser Albtraum ist noch nicht vorbei

Die Notwendigkeit, gegen Polizeigewalt zu kämpfen, besteht weiter, argumentiert der US-Journalist und Autor Michael Arceneaux in The Independent:

„Für George Floyd gab es heute Gerechtigkeit, aber wie sieht es mit Daunte Wright aus? Und wird Breonna Taylor je Gerechtigkeit erfahren? Und all die anderen? Wenn ihr gegen Polizeibrutalität und systemischen Rassismus seid, dann müsst ihr weiter auf die Straße gehen. Ihr müsst weiter Druck auf Politiker und mächtige Einrichtungen wie Polizeigewerkschaften ausüben. Ihr müsst weiter auf Konfrontationskurs gehen ... Ich und so viele andere Schwarze werden morgen nicht weniger Angst davor haben, von der Polizei angehalten zu werden. Diesen Albtraum kann ein einzelnes Urteil nicht ändern. “

Corriere della Sera (IT) /

Ein Prozess, den niemand vergisst

Der Fall wird in die Geschichte eingehen, prophezeit USA-Korrespondent Massimo Gaggi in Corriere della Sera:

„Die Aufzeichnungen der Videokameras und die sozialen Netzwerke haben die tragische Szene in einen weltweit einzigartigen Fall verwandelt und einen surrealen Gerichtsprozess hervorgebracht: Unvergleichlich wegen der Bilder, die aus allen Blickwinkeln und zu verschiedenen Zeiten aufgenommen wurden, vor und nach George Floyds Verhaftung, die es jedem von uns erlaubten, zum Richter zu werden. ... Surreal, weil die Bilder eines Offiziers, der sein Knie über neun Minuten lang auf dem Hals eines mit Handschellen gefesselten Mannes hält, selbst nachdem dieser das Bewusstsein verloren hat, vor einem hilflosen Publikum von Umstehenden, die nur um Gnade flehen, für immer im Gedächtnis und im Gewissen Amerikas eingebrannt bleiben werden.“