Vierte Welle ohne Restriktionen: Geht das?

Die vierte Coronawelle lässt in vielen Teilen Europas die Zahl der Todesfälle und schweren Erkankungen wieder ansteigen - insbesondere unter Ungeimpften. Wie die inzwischen restriktionsmüden Bürger und ihre politischen Vertreter damit umgehen sollten, erörtert die Presse.

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hvg (HU) /

Ungarns Regierung schaut lieber nicht hin

Statt die Infektionszahlen niedrig zu halten, kann man die Realität auch durch nachlässiges Testen kaschieren, kritisiert hvg:

„Laut der Statistiken wird im Verhältnis zur Bevölkerungszahl nur in Polen weniger getestet als in Ungarn. ... Die relativ guten Infektionszahlen bringen die ungarische Regierung in eine angenehme Lage: Viktor Orbán kann ganz ruhig darauf verweisen, dass bei solchen Zahlen keine erneuten Restriktionen eingeleitet werden müssen. So ist er im Vorfeld der Wahlen [im Frühjahr 2022] nicht dazu gezwungen, unpopuläre Maßnahmen einzuleiten.“

Newsweek România (RO) /

Auf der eigenen Beerdigung tanzen

Obwohl die vierte Coronawelle in Rumänien die Zahl der Toten stark ansteigen lässt, besinnen sich nur wenige auf die Impfung, bedauert Chefredakteur Răzvan Chiruţă in Newsweek România:

„Trotz der Tatsache, dass am Freitag auf den Intensivstationen des Landes 1.561 Patienten lagen - die höchste Zahl seit Beginn der Pandemie - und weitere 15.467 Kranke in einem prekären Gesundheitszustand im Krankenhaus behandelt werden, bleibt die Skepsis gegenüber Impfungen ebenso groß wie beängstigend. … Wir sind bei einem Begräbnis zugegen, doch verhalten wir uns wie auf einer Hochzeit. Wir tanzen und trinken bei unserer Beerdigung und machen uns keinerlei Sorgen, dass nur noch wenig Zeit ist, bis wir unter die Erde kommen.“

Eesti Päevaleht (EE) /

Katastrophale Folgen der Führungskrise

Für die hohe Inzidenz und die geringe Impfrate in Estland macht Chefredakteur Urmo Soonvald in Eesti Päevaleht die Regierung verantwortlich:

„Während Skandinavien sich öffnet, plagen wir uns seit einem Jahr mit denselben Problemen herum. Der Impfkarren steckt fest, die Führungskrise vertieft sich, den Behörden mangelt es an Kraft, Führung und Vision, wie man die gesellschaftliche Einstellung verändern kann. Diejenigen, die dem Staat helfen wollten, sind frustriert, weil niemand auf sie hört. Die heutige Lage war vermeidbar, aber verbrecherisch überhöhtes Selbstvertrauen und Dummheit hängen wie eine Ankerkette um den Hals der Regierung von Kaja Kallas und Tanel Kiik. Nun kommen auch noch die Wahlen, die den Politikern wichtiger sind als Ansteckungen, Tote oder Restriktionen.“

Ilta-Sanomat (FI) /

Probe für gesellschaftliche Solidarität in Finnland

Inwieweit Geimpfte zu erneuten Restriktionen bereit sein werden, fragt sich Ilta-Sanomat angesichts der steigenden Ansteckungszahlen:

„Derzeit wird die Gesellschaft geöffnet, die Empfehlungen zur Telearbeit laufen aus und die zwischenmenschlichen Kontakte nehmen deutlich zu. Gleichzeitig steigt die Zahl der Corona-Kranken. Dies ist nur natürlich, denn noch immer gibt es in Finnland Hunderttausende Ungeimpfte. … Verschärft sich die Lage weiter, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob wieder regionale Beschränkungen nötig sind. Die Frage ist, wie man mit ihnen umgeht, wenn man weiß, dass das Virus vorwiegend unter Ungeimpften zirkuliert. Wird die Solidarität der Geimpften ausreichen?“