Zum Tod von Jean-Luc Godard

Der Filmregisseur und Wegbereiter der Nouvelle Vague Jean-Luc Godard ist am 13. September in der Schweiz gestorben. Der 91-Jährige nahm dazu die im Land legale Hilfe zu einem assistierten Suizid in Anspruch. Kommentatoren beschäftigt vor allem die enorme Bedeutung, die Godards Schaffen für die Entwicklung des Kinos hatte.

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Aargauer Zeitung (CH) /

Schon zu Lebzeiten eine Legende

Godard verstand das Kino nie als Ort zur Unterhaltung der Menschen, sondern zu ihrer Befreiung, lobt die Aargauer Zeitung:

„Gegen die Gefallsucht Hollywoods mit seinen klaren und vorhersehbaren Geschichten, die so oft happy enden, setzte er Gebrochenheit, Ambivalenzen, Abgründe. Und eine verrätselte Intellektualität, die ihm bis heute von seinen Gegnern Prädikate wie 'sperrig' oder 'unzugänglich' eingebracht haben. … Natürlich flog er nicht nach Los Angeles, als ihm Hollywood 2010 den Ehrenoscar verlieh. … Godard war schon lange vor seinem Tod zur historischen Figur geworden, zu einer Legende der Vergangenheit, die eines Tages ihrer aktiven Wiederentdeckung jenseits cinephiler Kreise harrt.“

De Morgen (BE) /

Meister-Cineast sprengte alle Konventionen

De Morgen kommentiert:

„Der unerschöpfliche Experimentierdrang hatte seinen Preis. Godard wurde einer der einflussreichsten und meist imitierten Cineasten aller Zeiten, ein Filmpionier, der allen Generationen zeigte, was Kino kann. Zugleich bewegte er sich weit entfernt vom normalen Filmpublikum. ... [Ab etwa 1968] musste der Kinobesucher zusehen, wie sich Godards Œuvre, unter Einfluss seiner linken, anti-bürgerlichen und anti-amerikanischen Ansichten, immer weiter radikalisierte. ... Von Film zu Film wurde Godards Haltung wütender und aggressiver. Was mit spielerischen Verfremdungseffekten und ironischen Witzen begann, mündete in einen direkten Angriff auf das bourgeoise Publikum.“

Expresso (PT) /

Wichtiger als Elizabeth II.

Francisco Louça, ehemaliger Vorsitzender der portugiesischen Linkspartei Bloco Esquerda, schreibt in Expresso:

„Godard hat unsere Zeit mehr geprägt als Elizabeth. Godard hat gearbeitet, Elizabeth nicht. Er erfand, sie machte nach. Godard schuf, Elizabeth bewahrte. ... Godard hat sich der Meinung des Publikums unterworfen. Sie sah die Menschen als Untertanen, die sich verbeugten. Godard überschritt, wagte, erfand. Sie hat die Traditionen geschützt. ... Was zählt, nämlich die Kultur oder das, was uns das Leben, die Illusionen, den Zauber, die Nostalgie, die Hoffnung und die Wirklichkeit teilen lässt, das ist Godard, an den wir uns erinnern werden. Und diese Erinnerung und der Respekt vor dem Werk werden die Huldigung sein, die keine dynastische Macht jemals erreichen wird.“

La Repubblica (IT) /

Der Wert des Lebens ist subjektiv

In La Repubblica verteidigt die Philosophin Michela Marzano die Entscheidung Godards zum assistierten Suizid:

„Man sollte sich davor hüten, Urteile zu fällen und sich bemühen zu verstehen, dass am Ende des Lebens die so genannten objektiven Kriterien nicht mehr gelten. Was zählt, ist die Erfahrung (die Subjektivität) desjenigen, der sich in dieser Situation befindet. ... Jean-Luc Godard war 91 Jahre alt und erschöpft. Er war nicht krank, das stimmt. Aber er hatte vielleicht alles getan und erreicht und gelebt, was ein Mann wie er tun und erreichen und leben wollte. Der unermessliche Wert des Lebens wird sicherlich nicht dadurch geschützt, dass man verbietet, wegzugehen. ... Dessen Sinn erschöpft sich aber, wenn sein Inhaber das Gefühl hat, dass es an der Zeit ist, sich zu verabschieden.“