Zugunglück in Griechenland: Katastrophe mit Ansage?

In Athen, Thessaloniki und weiteren Städten gab es am Wochenende große Demonstrationen mit teilweise gewaltsamen Ausschreitungen als Reaktion auf das Zugunglück mit 57 Toten. Premier Mitsotakis hatte zunächst menschliches Versagen für das Unglück verantwortlich gemacht, entschuldigte sich aber später in einem Facebook-Post auch für den maroden Zustand der Bahn.

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Efimerida ton Syntakton (GR) /

Die Jugend spricht die brutale Wahrheit aus

Dass gerade junge Menschen so wütend sind, kann Efimerida ton Syntakton gut verstehen:

„Die Jugendlichen nennen das Verbrechen 'Verbrechen', und den Mord 'Mord' und sie fordern Gerechtigkeit. Sie sprechen die Sprache der Wahrheit, weil wir ihnen keinen Raum für Illusionen oder Märchen gelassen haben. Sie wachsen in einem Land auf, in dem die Wirtschaft in Ketten liegt, ohne Perspektiven, ohne Ausweg. Sie haben miterlebt, wie ihr Land Stück für Stück ausverkauft wurde, wie seine Infrastruktur verrottet, das Gesundheitssystem zerbrochen und das Bildungssystem ausgehöhlt wurden. ... Sie wachsen in Familien auf, die unter der Last der Wirtschaftskrise leiden. ... Sie sind die Kinder, die mit dem Zug reisen.“

Capital (GR) /

Nur Mitsotakis kann jetzt angemessen reagieren

Das regierungsnahe Webportal Capital schreibt:

„Die Bürger gehen zu Recht auf die Straße, um sichere und moderne Verkehrsmittel sowie Rechenschaft über die Geschehnisse zu fordern. Vorsicht jedoch vor den Schlauen, die den Vorwand nutzen, um Etatismus zu fordern [und Privatisierungen zu kritisieren]. Natürlich trägt auch die Regierung ein hohes Maß an Verantwortung für das Geschehene. Die derzeitige Regierung hätte mutiger und entschiedener sein können, um die negativen Auswirkungen des Etatismus in Wirtschaft und Gesellschaft zu bekämpfen. Aber für Entscheidungen ist es nie zu spät. Und diese Entscheidungen, die Mut und Durchsetzungskraft brauchen, kann niemand anders als Kyriakos Mitsotakis treffen.“

Phileleftheros (CY) /

Ein Sündenbock ist schon gefunden

Phileleftheros empört sich über vereinfachte Schuldzuweisungen:

„Trauer wird zu Wut und Zorn. Der Bahnhofsvorsteher steht im Visier! Ja, er ist eindeutig verantwortlich. Er hat seinen tragischen Fehler bereits zugegeben! Wie praktisch für alle. Die Angehörigen der Opfer werden ihre Wut an ihm auslassen. Das Unternehmen wird jede Verantwortung für die Tragödie vertuschen. ... Die Verantwortung lag bei vielen. Seit vielen Jahren. Die Unzulänglichkeiten, die Probleme, die angehäufte Nachlässigkeit hatten über Jahre eine bevorstehende Tragödie beschworen. Im Grunde genommen handelt es sich um ein großes Verbrechen. ... Es ist nicht nur der Bahnhofsvorsteher, der schuldig ist. ... Es ist die kriminelle Nachlässigkeit der jeweiligen Regierungen.“

Kathimerini (GR) /

Zwanzig Jahre nichts als Versäumnisse

Kathimerini ist entsetzt über die Zustände auf der Bahnstrecke:

„Kilometerlange Abschnitte ohne Signale, Kommunikation mit Mobilfunk, der nicht funktioniert, wenn der Zug in einem Tunnel ist. Ein 20.000 Euro teures Auto hat ein Warnsystem. Ein Smartphone kann die Route eines Schiffes überall auf dem Wasser verfolgen... Seit dem Jahr 2000, heißt es, habe man moderne Navigationssysteme angeschafft, aber sie funktionierten nie. Und das alles auf der einzigen großen Bahnlinie des Landes mit ein paar Abzweigungen. Man fragt sich, wie es möglich ist, dass all diese Menschen mit der Last der Schuld leben können. ... All diejenigen, die es in den letzten zwanzig Jahren versäumt haben, Voraussetzungen zu schaffen, die einen solch schweren Unfall hätten verhindern können.“

The Guardian (GB) /

Nicht die ersten Opfer

Nun muss der Frage nachgegangen werden, wieso das griechische Schienennetz so unsicher ist, meint The Guardian:

„Laut Statistiken der EU-Eisenbahnagentur war Griechenlands Bilanz bei der Eisenbahnsicherheit im letzten Jahrzehnt die schlechteste der EU - was allerdings durch das kleine Bahnnetz, das nur etwa zwei Prozent der Netzgröße des Vereinigten Königreichs beträgt, leicht verzerrt wird. Ein Großteil der Todesfälle betraf Gleisarbeiter, nicht Passagiere. Der griechische Bahnbetreiber Trainose wurde als Teil der Reformen, die dem Land im Rahmen des EU-Rettungspaketes auferlegt wurden, privatisiert. ... Auch wenn die Unfallursache noch nicht mit Sicherheit feststeht, stellt man in Griechenland nun Fragen zur Finanzierung, Personalausstattung und Wartung bei der Bahn.“

Naftemporiki (GR) /

Anachronistische Technik

Die Zustände bei der griechischen Eisenbahngesellschaft sind für Naftemporiki unhaltbar:

„Im Zeitalter der Drohnen, der Satelliten, des Internets, der Digitalisierung, der KI, der Robotik, der Ufo-Ballons hat die OSE nicht bemerkt, dass zwei Züge drohten, frontal zusammenzustoßen. ... Im Zeitalter der Digitalisierung des öffentlichen Sektors beharrt die OSE darauf, auf zwei Linien den Zugverkehr manuell zu regeln. Im Zeitalter von E-Books, Smartphones, Tablets, elektronischen Signaturen, Telematik und Telearbeit führen die Bahnhofsvorsteher der OSE manuelle Dienstbücher. Das ist die moderne OSE, das sind die modernen Investoren, der griechische Staat, der, egal wie sehr er auch modernisiert wird, immer langsam, anachronistisch, verrostet und von nun an verhasst sein wird.“

Infowar (GR) /

Infrastruktur absichtlich heruntergewirtschaftet

Für Infowar ist das Unglück eine Folge des Privatisierungsprozesses:

„Die Zeit vor der Privatisierung bringt oft die größte Verschlechterung der staatlichen Infrastruktur mit sich, da die Regierungen, die sie verkaufen wollen, sie systematisch abwerten, um der Welt zu zeigen, dass 'der Staat es nicht schafft'. Dies ist bei der OSE seit Jahren der Fall, und zwar durch mehrere Regierungen, die sich auf die Privatisierung vorbereiteten. Dieses Desaster lässt sich nach der Privatisierung nur sehr schwer wieder rückgängig machen.“