Drei Jahre nach dem Sturm aufs Kapitol

Die Aufarbeitung des Sturms auf das US-Kongressgebäude am 6. Januar 2021 ist auch drei Jahre später noch nicht abgeschlossen. Der Supreme Court befindet im Februar darüber, ob der Ausschluss des damaligen Präsidenten Donald Trump von den aktuellen Vorwahlen in zwei Bundesstaaten – begründet mit seiner Rolle im Zusammenhang mit dem Aufstand – rechtens ist. Wie hat sich das Ereignis auf die US-amerikanische Demokratie ausgewirkt?

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La Vanguardia (ES) /

Wahlkampfwaffe für beide Lager

Die USA erleben eine nie dagewesene Situation, schreibt La Vanguardia:

„Colorado und Maine haben Trumps Wahlkampagne wegen Teilnahme und Anstiftung zu den Ausschreitungen ausgesetzt, rund fünfzehn weitere Staaten erwägen dasselbe. Der Oberste Gerichtshof mit konservativer Mehrheit wird am 8. Februar darüber beraten, ob der Republikaner kandidieren darf oder nicht. ... Das Gericht wird zum wichtigsten Schiedsrichter der Präsidentschaftswahlen werden. ... Bis [das Urteil] öffentlich gemacht wird, wird der Angriff auf das Kapitol beiden Seiten als Wahlkampfwaffe dienen.“

Le Figaro (FR) /

Alles hängt vom Supreme Court ab

Es geht um die Zukunft der US-Demokratie, analysiert Le Figaro:

„Amerika ist auf eine einzige Frage fixiert: Was ist die Wahrheit des sechsten Januars, haben wir es mit einem falschen Gewinner oder einem schlechten Verlierer zu tun? In den USA und anderswo hat sich jeder bereits seine Meinung gebildet, sodass von der Wahldebatte kaum Fortschritte zu erwarten sind. Doch der Supreme Court hat die Möglichkeit, die amerikanische Demokratie wieder auf den richtigen Weg zu bringen. ... Wenn er feststellt, dass Trump gegen den 14. Zusatzartikel verstoßen und einen Aufstand unterstützt hat, werden sich die Republikaner einen anderen Kandidaten suchen müssen. Wenn er ihn freispricht, braucht es sicherlich mehr als den gebrechlichen Joe Biden, um die amerikanische Demokratie zu 'retten'.“

Berlingske (DK) /

Auch die Demokraten haben ein Demokratiedefizit

Berlingske kritisiert das Vorgehen, Trump über den Rechtsweg zu bekämpfen:

„Wenn man einerseits Trump zu Recht vorwirft, die Demokratie zu untergraben, ist andererseits auch ein Hinweis angebracht, wenn der gegnerische politische Flügel das gleiche tut. Und wenn man den Namen des Mannes, der vermutlich Gegner in der kommenden Präsidentschaftswahl sein wird, vom Stimmzettel streicht, so dürfte dies die amerikanische Demokratie oder das Vertrauen in den Wahlprozess kaum stärken. Im Gegenteil. Offenkundig bringt das Trump nur zu noch mehr Unterstützung von seinen Hardcore-Fans ein und nützt ihm politisch. ... Wahlen müssen im Wahllokal entschieden werden, nicht mit einem Misstrauen säenden juristischen Schritt.“

La Tribune de Genève (CH) /

Trump ist auf dem besten Weg

Als mahnendes Beispiel verblasst das Ereignis schon jetzt, beobachtet La Tribune de Genève:

„Drei Jahre nach dem Überfall scheint die Vorstellung einer bedrohten Demokratie für viele Wähler, nicht nur Republikaner, nicht mehr die ganz große Sorge zu sein. Laut einer Umfrage der Washington Post ist parteiübergreifend nur noch die Hälfte der Befragten der Meinung, dass dieser Angriff niemals vergessen werden sollte. Im Gegenteil: Mit seinen Klagen über eine 'Pseudodemokratie' hat Donald Trump ins Schwarze getroffen. … Dank seiner Selbstinszenierung als Verschwörungsopfer ist er auf dem besten Weg, seinen Parforce-Ritt zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. ... Was nach dem 5. November 2024 aus der amerikanischen Demokratie wird, ist eine andere Frage.“

Politiken (DK) /

Problem geht über Trump hinaus

Politiken warnt vor überzogenen Erwartungen an die republikanische Kandidatin Nikki Haley, die als eine von wenigen in ihrer Partei das Wahlergebnis von 2020 anerkennt:

„Im Sinne der USA und der Amerikaner muss man zwar innerlich hoffen, dass sie Trump besiegen und Präsidentschaftskandidatin werden kann. Aber selbst dann wäre der Weg der Republikaner zurück zu einer verantwortungsvollen Partei weit. ... Im Kongress tummeln sich Trump-Anhänger, und das Vorwahl-System ist zu einem radikalisierenden Faktor geworden, bei dem Trumps Kernwähler moderate Politiker zugunsten von Extremisten aus dem Rennen drängen. Der Angriff auf den Kongress am 6. Januar 2021 schlug fehl - aber die Demokratie in den USA im Allgemeinen und die Republikaner im Besonderen sind nach wie vor schwer angeschlagen.“