Ecuador: Krieg zwischen Drogenmafia und Staat

Nach dem Gefängnisausbruch eines bekannten Drogenbosses ist es in Ecuador zu Schießereien und Plünderungen im ganzen Land gekommen. Maskiert und schwer bewaffnet stürmten Bandenanhänger zudem eine TV-Livesendung und zwangen die Anwesenden, vom Präsidenten Daniel Noboa ein Ende des Kriegs gegen Drogenhandel zu fordern. Noboa verhängte den Ausnahmezustand und setzt das Militär gegen die Banden ein. Wohin führt das?

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El País (ES) /

Nicht dem Autoritarismus verfallen

El País warnt vor Überschussreaktionen:

„Präsident Noboa hat bestätigt, dass sich das Land im Krieg gegen das Verbrechen befindet. Wie sich in seinen Reden gezeigt hat, ist er dabei aber versucht, ein autoritäres Modell nach dem Vorbild von Nayib Bukele in El Salvador einzuführen. Während des Wahlkampfs, der im August durch die Ermordung des Kandidaten Fernando Villavicencio überschattet wurde, versprach der Präsident, Gefängnisschiffe zu kaufen, um die gefährlichsten Kriminellen zu isolieren. Die schwere Krise, in der die Ecuadorianer stecken, erfordert die Einbeziehung aller Parteien und unerbittliche Verbrechensbekämpfung. Menschenrechte und Grundfreiheiten dürfen darunter aber nicht leiden. Es geht um den sozialen Frieden und das demokratische Zusammenleben.“

Censor.net (UA) /

Kuhhandel mit Mafia möglich

Politologe Witalij Kulyk analysiert in Censor.net:

„Noboa genießt bedeutende Unterstützung bei der Zivilbevölkerung sowie in Teilen der nicht korrupten Sicherheitskräfte. Doch da die lokalen Behörden und die Polizei durch und durch von Kartellen unterwandert sind, besteht die Gefahr, dass die Entscheidungen des Präsidenten sabotiert werden. Noboas Kritiker von links sagen, der Präsident würde sich letztendlich doch mit den Gangstern einigen, um die Gewaltspirale zu beenden. Dabei würden ihm Kontakte seiner Familie (die Noboas sind eigentlich eine oligarchische Dynastie von Bananenhändlern) im Umfeld der Mafia helfen. Sollte die Welle der Gewalt aber nicht schnell genug eingedämmt werden, droht Noboa bald eine politische Krise.“

Anatoli Nesmijan (RU) /

Ganze Länder werden gekapert

Publizist Anatoli Nesmijan sieht auf Facebook ähnliche Probleme in ganz Lateinamerika:

„Das organisierte Verbrechen kommt früher oder später zum Schluss, dass man am meisten gewinnt, wo es gelingt, einen ganzen Staat zu kapern. ... Venezuela hat den Krieg gegen die Mafia verloren, die mittelamerikanischen Staaten weitgehend auch. ... In Brasilien sind die Aussichten sehr schlecht. ... In Ecuador verschlechtert sich die Lage. Der Ausgang der aktuellen Kampfrunde ist schwer vorherzusagen, wobei die Übertragung von Vollmachten an die Armee vermuten lässt, dass die Polizei handlungsunfähig ist und wohl schon von den Kartellen kontrolliert wird.“

Le Monde (FR) /

Nationale Strategien zum Scheitern verurteilt

Der Kontinent muss sich dem Problem geschlossen stellen, drängt Le Monde:

„Ecuador, das lange Zeit als Oase des Friedens in einer gemarterten Region galt, wurde zur Beute des organisierten Verbrechens. … Die Schwächen Ecuadors zeigen auf, wie illusorisch es ist, mit rein nationalen Antworten auf ein Problem zu reagieren, das keine Staatsgrenzen kennt. Eine andauernde Destabilisierung des Landes wäre für seine direkten Nachbarn ebenso wie für einen Großteil Lateinamerikas katastrophal. Ecuador braucht eine kontinentweite Sicherheitshilfe, um dem zu begegnen, was bei Weitem die Hauptsorge seiner Bürger darstellt. Die Lage ist dringend.“

taz, die tageszeitung (DE) /

Dem organisierten Verbrechen die Grundlage entziehen

Die Gewalt ist eine Folge der internationalen Drogenpolitik, schreibt die taz:

„In allen Industrieländern wird gekokst, was die Nasenscheidewand hergibt, in allen Gesellschaftsschichten und über alle politischen Gräben hinweg. Auch unter jenen, die sonst nur fair gehandelte Bio-Lebensmittel einkaufen ... . Es gibt kein halbes Gramm Kokain, an dem kein Blut klebt. Aber weil es für die Regierungen des Nordens politisch bequem ist, das illusorische, aber scheinbar so fürsorgliche Ziel einer drogenfreien Welt aufrechtzuerhalten, wird sich daran auch nichts ändern. Man könnte Realpolitik betreiben und den Markt von der Pflanze bis zum Endverbraucher regulieren. Stattdessen: Dem Norden der Lebensstil, dem Süden die Toten.“