Attentat in Washington: Welche Lehren ziehen?

Am Mittwochabend wurden vor dem Capital Jewish Museum in Washington zwei Mitarbeiter der israelischen Botschaft erschossen. Das junge Paar stand kurz vor der Hochzeit. Ein 30-Jähriger wurde als mutmaßlicher Täter festgenommen und soll des Mordes angeklagt werden. Er erklärte laut Polizeiangaben, er habe es für Palästina getan. Kommentatoren debattieren Hintergründe und nötige Konsequenzen.

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Der Tagesspiegel (DE) /

Eine dramatische Entwicklung für alle

Der Konflikt ist dabei, sich zu entgrenzen, schreibt der Chefredakteur des Tagesspiegels:

„[W]as auch daran abzulesen ist, dass Israelis weltweit jetzt noch mehr in Gefahr sind als ohnehin schon. Die antisemitischen Angriffe werden wohl steigen und eine neue Dimension erreichen. ... Was für ein Wahnsinn. Offenbar halten es vermeintliche 'propalästinensische' Aktivisten für legitim, mit Mord gegen die Zustände in Gaza zu protestieren. Als rechtfertigte das diese ungeheuerliche Tat. Die ganze Entwicklung wird dramatisch. Für Jüdinnen und Juden, für Israelis weltweit, aber natürlich auch für Palästinenser.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Mehr Kooperation suchen

Ausländischen Staaten, die Kritik an Israels Politik üben, eine Mitverantwortung für die Tat zu geben, findet die Neue Zürcher Zeitung gefährlich:

„In einer Welt, in der die internationalen Institutionen tendenziell israelfeindlich sind, und in einer Region voller Feinde wäre eher Kooperation statt Konfrontation angesagt. Weil aber Attacken auf ausländische Staaten bei der eigenen Bevölkerung gut ankommen, isoliert sich die israelische Regierung international Tag für Tag mehr. … Mehr Wachpersonal und Stacheldraht vor israelischen Botschaften sind leider notwendig. Doch eines ist klar: Für langfristige Sicherheit braucht das kleine Land auch Vernetzung mit der Welt und Verständnis im Ausland. Statt sich nur einzubunkern, sollte Israel ferner darauf verzichten, seine Freunde in der Welt unnötig zu verprellen. Viele hat der jüdische Staat nämlich nicht mehr.“

Avvenire (IT) /

Auf Diplomatie setzen

Die Politikerin und Dozentin Milena Santerini, von 2020 bis 2022 Antisemitismus-Beauftragte der Regierung, sieht in Avvenire eine Spirale der Gewalt:

„Das Attentat war nach den Worten des israelischen Staatspräsidenten Herzog 'ein verabscheuungswürdiger Akt des Hasses, des Antisemitismus'. ... Die unentschuldbare und nicht zu rechtfertigende Gewalt hat zwei junge Menschen das Leben gekostet und die unerträgliche Situation des Nahostkonflikts mit noch mehr Terror erfüllt. Der Angriff nährt einen Teufelskreis der Gewalt, dessen Ende nicht absehbar ist. ... Viele stellen sich die quälende Frage, was Israel wirklich braucht. ... Es muss die Diplomatie wieder aufnehmen, um eine politische und nicht nur eine militärische Lösung vorzuschlagen, die Frieden schafft.“

Sydsvenskan (SE) /

Hass macht es für alle Seiten schlimmer

Sydsvenskan mahnt:

„Es gibt derzeit keinen Mangel an Kritikpunkten am israelischen Premier und seiner rechtsextremen Regierung. Doch genau die politische Führung sollte kritisiert werden – nicht Israel selbst. Sie ist diejenige, die die Verantwortung trägt. Darüber hinaus trägt ungezügelter Hass auf Israel letztlich zu Taten bei, wie der am Mittwoch vor einem jüdischen Museum in Washington D.C., bei der ein junges Paar, das in der israelischen Botschaft arbeitete, erschossen wurde. ... Eine entsetzliche und inakzeptable Tat, die der palästinensischen Sache offensichtlich nicht hilft, sondern zu einer noch desolateren Situation führt.“

Le Figaro (FR) /

Die Geschichte muss uns wachsam machen

Auf keinen Fall darf man die Gefahr unterschätzen, die von vermeintlichen Einzeltaten ausgeht, warnt die Politologin Renée Fregosi in Le Figaro:

„Die Totalitarismen von gestern – der Faschismus ebenso wie der Kommunismus und Nationalsozialismus – haben gezeigt, dass sie ausgehend von einer kleinen, anfänglich minoritären Gruppe, die oft wackelige, absurde oder dumme Theorien vertrat, sowohl massenhaft schwache Geister gewinnen, als auch andere hochgebildete Menschen verführen und dank ihnen die Brutalisierung auf die gesamte Gesellschaft ausweiten konnten. Heute beweisen der islamistische Totalitarismus und der Woke-Terrorismus, dass sie ebenso in der Lage sind, viele Intellektuelle für ihre zerstörerischen Offensiven zu mobilisieren.“