Ukraine-Diplomatie: Welche Rolle spielt Osteuropa?
Beim Ukraine-Gipfel am Montag in Washington waren Staats- und Regierungschefs von fünf europäischen Ländern zugegen. Unter ihnen war kein Vertreter eines osteuropäischen EU-Mitglieds. Medien aus Osteuropa betreiben Ursachenforschung, warum das dortige Engagement für die Ukraine und die Nähe zum Kriegsschauplatz nicht stärker zählen.
Selbstverschuldet am Katzentisch
Tschechien und Polen verspielen ihr politisches Kapital, das sie durch ihre Hilfe für die Ukraine gewonnen haben, bedauert Hospodářské noviny:
„Polen gibt fast fünf Prozent seines BIP für Verteidigung aus – mit Abstand der höchste Wert aller Mitglieder der Nato. ... Doch das Land ist kein natürlicher Anführer in der Region. ... Die Spannungen zwischen Präsident und Regierung werden Polens Position weiter schwächen. ... Das Ergebnis der Verhandlungen über die Ukraine wird unmittelbare Auswirkungen auf Mitteleuropa haben. Durch die Hilfe für das angegriffene Land erlangten Prag und Warschau relativ hohes Ansehen bei den Verbündeten, das sie künftig nutzen könnten. Schade nur, dass aus innenpolitischen Gründen, unter anderem wegen des erwarteten Wahlausgangs in Tschechien, daraus wohl nichts wird.“
Polen muss sich zusammenreißen
Politologe Jarosław Kuisz schreibt im im Online-Portal Interia, dass Polen aufgrund seiner innenpolitischen Zerwürfnisse außen vor bleibt:
„Die Tatsache, dass der finnische Präsident mit am Tisch sitzt, kompromittiert unsere Bemühungen um Mitsprache. Polen ist ein fundamental wichtiges Transitland. Der Krieg in Osteuropa ist unsere Angelegenheit. Offensichtlich hat die polnische Polarisierung zur Ineffizienz unserer Diplomatie beigetragen. Schaffen wir es als Reaktion auf diese Niederlage, uns im Namen der Staatsräson zu professionalisieren und zusammenzuarbeiten? Unsere Angewohnheit zu provinziellem Gezänk ist stark. Wir glauben an Gesten der Anerkennung, selbst wenn man uns bloß an der Nase herumführt. Während wir in der Praxis unseren Platz bei den wichtigsten geopolitischen Gesprächen verlieren.“
Großes Geschacher ohne die Kleinen
In Libertatea ärgert sich der Journalist Costi Rogozanu über die Rolle als Zuschauer:
„Aus Europa und den USA höre ich nur die Schlagworte 'Wiederaufbau' und 'Aufrüstung'. Investmentfonds reiben sich die Hände bei dem Gedanken, dass sie in ein vom Krieg zerstörtes Land wie die Ukraine einsteigen und Gewinne erzielen können, wie es sie seit dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht mehr gegeben hat. … Osteuropa - das nicht zum Treffen in Washington eingeladen wurde - hat nichts weiter zu tun, als Kredite aufzunehmen und sich auf den Einkauf [von Rüstungsgütern] vorzubereiten. … Vermutlich brauchten sie die Ängste der Osteuropäer bei dem Treffen nicht. Ich spekuliere nur, abgesehen von der Tatsache, dass es immer mehr Clubs für Privilegierte gibt, für die die Kleinen sich die Eintrittskarte nicht leisten können.“
Nur Orbán hat sich richtig aufgestellt
Laut der regierungsnahen Vasárnap hat die Entwicklung dem ungarischen Ministerpräsidenten Recht gegeben:
„Europa ist wieder einmal zu spät dran. So wie das späte Erwachen in der Migrationsfrage die gesellschaftlichen Verhältnisse unumkehrbar verändert hat, so hat die derzeitige Tollpatschigkeit Brüssel und die Hauptstädte der großen Mitgliedstaaten für lange Zeit von der Bühne der entscheidenden geopolitischen Akteure verdrängt. An ihre Stelle könnte – nicht überraschend – gerade Budapest treten. Mehrere große internationale Zeitungen berichten nämlich, dass die ungarische Hauptstadt der Schauplatz des in Vorbereitung befindlichen Treffens zwischen Putin und Selenskyj sein könnte. Obwohl noch nichts sicher ist, wäre dies eine sehr ernsthafte Anerkennung der Bemühungen der ungarischen Friedenspolitik.“