100 Tage Bundeskanzler Merz: Wie ist die Bilanz?
Seit 100 Tagen sind Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und seine Regierung in Berlin im Amt. Die Erwartungen an die Koalition aus Union und SPD waren im Vorfeld sehr hoch. Kommentatoren urteilen über die erste Etappe der Kanzlerschaft.
Der Kanzler hat bisher nicht geliefert
Merz hat viele seiner Wahlversprechen nicht in Angriff genommen, bemerkt die Kleine Zeitung kritisch:
„Weniger Migranten, mehr Wirtschaftswachstum, sparsamere und doch sichere Sozialsysteme, perfekte Infrastruktur – alles ohne neue Schulden. Kaum etwas davon hat der Kanzler bislang liefern können oder wollen. Die Quittung sind lausige persönliche Werte – weit hinter jenen von Scholz und Angela Merkel nach ihren ersten 100 Tagen. ... In der Folge fliegt Merz zum Hunderter seine allerwichtigste Zusage um die Ohren: die AfD kleinzuregieren. Die Rechtsaußenpartei hat die Union sogar überholt.“
Ängstlicher Besitzstandswahrer
Die Neue Zürcher Zeitung vermisst Reformen und zieht Parallelen zur Vorgängerregierung unter Olaf Scholz:
„Nun, nach einhundert Tagen der jetzigen Regierung, hat es sich ausgetanzt. Und man kann festhalten: Es gibt sehr wohl noch linke Politik in Deutschland. Es ist sogar ähnlich viel wie unter der Vorgängerregierung. Schwarz-Rot tritt im Wesentlichen auf wie ein ängstlicher Besitzstandswahrer. Vom einstigen Reformwillen ist kaum etwas zu sehen. Statt den Sozialstaat zurückzuschneiden, zementiert die Regierung ein zunehmend marodes System und trägt dabei einen gigantischen Schuldenberg auf. Statt Weichen zu stellen, um die Wirtschaft anzureizen, wird sie mit Subventionen sediert.“
Meisterwerk des politischen Selbstmords
Von den ersten 100 Tagen profitiert vor allem die AfD, betont The Spectator:
„Wir werden nicht nur Zeugen politischer Inkompetenz, sondern wohnen einer Lehrstunde bei, wie man die Demokratie für Populisten auf dem Präsentierteller anrichtet und dabei ernsthaft davon überzeugt ist, sie zu verteidigen. ... Merz positionierte sich als Retter, der nach Jahren der Merkelschen Orientierungslosigkeit die Glaubwürdigkeit der Konservativen wiederherstellen wollte. Stattdessen hat er sich als weiterer rückgratloser Politiker entpuppt, der bereit ist, Prinzipien für die Illusion von Macht zu opfern. Seine ersten 100 Tage waren kein Misserfolg, sie waren etwas weitaus Gefährlicheres: ein Meisterwerk des politischen Selbstmords, getarnt als Regierungsarbeit. Die AfD hätte das kaum besser inszenieren können.“
Mehr Führung übernehmen
Angesichts des Zustands der Koalition fragt sich die Welt, ob eine Minderheitsregierung wirklich die schlechtere Option wäre:
„In einer solchen müsste sich die Union für jedes Thema eine neue Mehrheit im Parlament suchen. Diese Option hat sie verworfen, weil dann die AfD womöglich am Zustandekommen vernünftiger Gesetze beteiligt wäre. Da lieferte man sich lieber der Sozialdemokratie auf Gedeih und Verderb aus. Der Effekt: Am Dienstag überholte die AfD abermals die Union in den Umfragen. Aktuell wirkt die Union wie der Juniorpartner in der Regierung. Merz muss die Führung in der Koalition übernehmen, wenn er nicht scheitern will.“
Viel Elan im Ausland - Probleme im Inland
De Volkskrant zieht eine gemischte Bilanz:
„In Europa ist Merz viel nachdrücklicher präsent als sein Vorgänger Olaf Scholz, auch bei der entscheidenden Ukraine-Frage. Darüber hinaus ist er in der Lage, die Kommunikation mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump aufrechtzuerhalten. ... Merz brach ein deutsches Tabu, indem er die Lieferung bestimmter Waffen an Israel einstellte. Deutschland beginnt offensichtlich an seiner bedingungslosen Unterstützung des jüdischen Staates zu zweifeln. ... Merz' geringe Umfrage-Werte sind zum Teil auf einen Mangel an Charisma und Charme zurückzuführen. Wichtiger ist jedoch die zersplitterte politische Landschaft in Deutschland.“