Von der Leyen hält Rede zur Lage der EU
Zum ersten Mal seit ihrer Wiederwahl hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch eine Rede zur Lage der Europäischen Union gehalten. Die EU-Abgeordneten in Straßburg erwarteten sich im Vorfeld Antworten auf strittige Themen wie den Zoll-Deal mit den USA. Kommentatoren fragen sich, ob es Europa gelingen kann, mit einer Stimme zu sprechen.
Nicht auf Augenhöhe mit den USA und China
Das Handelsblatt verknüpft keine großen Erwartungen mit der Rede:
„Von der Leyen wird aufzählen, was sie in ihrer zweiten Amtszeit schon alles angeschoben hat – vom Bürokratieabbau über die Industriepolitik bis hin zur Aufrüstung. Tatsächlich mangelt es nicht an Ankündigungen. Doch an der Umsetzung hapert es. Von der Leyen baut viele Luftschlösser. ... Der Hauptgrund: Europa bleibt Europa. 27 Mitgliedstaaten bremsen immer da, wo die EU-Integration an ihre vermeintlichen nationalen Interessen stößt. ... Europa sei die Lösung, sagen deutsche Politiker gern. Doch wenn es ernst wird und sie für eine bestimmte Aufgabe Macht oder Geld an Brüssel abgeben sollen, heißt es plötzlich: Nein, das könne Berlin viel besser selbst. Mit dieser Einstellung, multipliziert mit 27, wird Europa nie den Rückstand auf die USA und China aufholen.“
Sprache der Macht lernen
In grundsätzlichen Fragen fordert Svenska Dagbladet mehr Entschiedenheit von der EU:
„Im Laufe der Jahre hat die EU bemerkenswerte Fähigkeiten im Umgang mit Krisen bewiesen. Dann wird die Kleinstaaterei bei EU-Verhandlungen gegen Einheit und Stärke eingetauscht. ... Europa muss seine historische Rolle wahrnehmen und die Verantwortung für sein geopolitisches Erwachen übernehmen. Europa wurde als erfolgreicher Markt geboren. Nun muss es die Sprache der Großmacht lernen.“
Draghis Analyse ist Konsens
Immerhin herrscht einmal Einigkeit, betonen Guillaume Maujean und Nick Blow von der Beratungsfirma Brunswick Group in Les Echos:
„Europa ist es gelungen, eine Diagnose zu erstellen, der alle zustimmen. ... Der von Mario Draghi vor einem Jahr vorgelegte Bericht beschrieb die strukturellen Schwächen treffend: den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA und China, den massiven Finanzierungsbedarf und die Dringlichkeit einer gemeinsamen Industriepolitik. Dieser Befund führte auf europäischer Ebene zu einem Konsens – ein ungewöhnliches Phänomen in einer Gemeinschaft, die oft von Misstönen geprägt ist. Institutionen, Mitgliedstaaten und Wirtschaftskreise haben sich auf die zu lösenden Probleme geeinigt. Dies ... bildet die Grundlage für den Kurs, den die Kommission nun skizziert hat.“