Was zeigt der Besuch von al-Scharaa bei Trump?
US-Präsident Donald Trump hat Syriens Übergangspräsidenten Ahmed al-Scharaa im Weißen Haus in Washington empfangen. Er lobte den Ex-Chef der mittlerweile aufgelösten Terrormiliz HTS als "starken Anführer", der das kriegszerstörte Syrien zu einem erfolgreichen Land machen könne. In der Presse wird der Besuch und die Annäherung beider Länder erstaunt bis bewundernd aufgenommen.
Die Grenzen verschwimmen
Dass Trump einen ehemaligen Terroristen im Weißen Haus empfängt, findet Večernji list bemerkenswert:
„Trump sieht in al-Scharaa einen nützlichen Partner für US-Interessen in der Region: die Unterbindung von iranischem Einfluss, Grenzkontrollen in Richtung Irak und eine Stabilisierung des Gebietes zwischen der Türkei und Israel. ... Doch solch eine Rehabilitierung hat tiefe Symbolik. Wenn ein Leader, einst verbunden mit dem ideologischen Erbe von al-Qaida und IS, heute im Oval Office willkommen ist, verschwimmen die Grenzen zwischen Terrorismus und Diplomatie. Wären Osama bin Laden und Abu Bakr al-Bagdadi noch am Leben, wäre nicht auszuschließen, dass sich Trump, frei nach seiner Logik 'Business statt Ideologie', vielleicht auch mit ihnen treffen würde, wenn er davon einen politischen Nutzen hätte.“
Roter Teppich für einen ehemaligen Erzfeind
Die US-Außenpolitik ist nicht mehr wiederzuerkennen, frotzelt La Stampa:
„In einer undurchschaubaren Welt, in der Bilder mehr zählen als jede geopolitische Analyse, gibt es eines, das in die Geschichtsbücher eingehen wird. Es ist das Bild des syrischen [Übergangs-]Präsidenten Ahmed al-Scharaa – einst bekannt als Al-Dschulani, berüchtigter Dschihadist und jahrelanger Erzfeind des Westens –, der in Washington empfangen wird, als wäre er ein langjähriger Verbündeter. Bis vor wenigen Monaten hätte eine solche Szene selbst für eine politische Fantasy-Serie von Netflix zu weit hergeholt gewirkt. Heute, in der den neuen Nahen Osten prägenden Machtlogik, überrascht sie nicht mehr.“
Dealmaker schafft Fakten in Nahost
Trump hat in Nahost schon jetzt mehr erreicht als seine Amtsvorgänger, schreibt Nordamerika-Korrespondent Andreas Scheiner in der Neue Zürcher Zeitung:
„Jahrzehntelang war Syrien ein Scharnier in der von Iran angeführten 'Achse des Bösen'. ... Washington will die Gelegenheit nutzen, das regionale Machtgleichgewicht zu verschieben. ... Ein Deal zwischen Syrien und Israel wäre ein Game-Changer für die Region. ... Trump hat mit seiner unorthodoxen, impulsgetriebenen Nahostpolitik schon deutlich mehr in der Region bewegt als vor ihm Joe Biden oder auch Barack Obama. ... Gemeinsam mit seinem Schwiegersohn Jared Kushner und dem Sondergesandten Steve Witkoff wirbelt der selbsterklärte Dealmaker die Region in einem Tempo durcheinander, dass es den Fanatikern zu allen Seiten schwindlig wird. Der Aussenpolitiker Trump schafft durch sein Vorpreschen Fakten.“
Stabilität für Syrien noch in weiter Ferne
Die Lage in Syrien ist weiterhin äußerst fragil, warnt The Irish Times:
„Die Zusammenstöße zwischen dem sunnitischen Regime und weiterhin Assad-treuen alawitischen Kräften sowie die Gewalt gegen und unter Christen, Drusen und Beduinen verdeutlichen die Fragilität des gesellschaftlichen Gefüges in Syrien. Sie lassen Zweifel an al-Scharaas Versprechen der Inklusivität aufkommen. … Die neue syrische Führung muss alles daransetzen, ihre Streitkräfte unter Kontrolle zu bringen, Angriffe gegen einzelne Volksgruppen zu verhindern und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Die internationale Gemeinschaft muss geschlossen Syriens Wiederaufbau unterstützen und das Land wieder zu einem vollwertigen Mitglied der Staatengemeinschaft machen.“