90 Milliarden für die Ukraine: Gute Lösung?

Die EU räumt der Ukraine einen zinslosen Kredit über 90 Milliarden Euro ein. Die in Belgien eingefrorenen russischen Gelder werden dafür vorerst nicht angetastet. Europas Medien erörtern, was mit der Einigung in der umstrittenen Kreditfrage am vergangenen Freitag in Brüssel erreicht wurde.

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Serhij Fursa (UA) /

Wirtschaftsstabilität gesichert

Blogger und Finanzanalytiker Serhij Fursa analysiert auf Facebook:

„Die russischen Gelder bleiben unangetastet, und die Ukraine kann weiterhin Anspruch darauf erheben. In vollem Umfang. ... Und selbstverständlich ist es ein großer Pluspunkt, dass die makroökonomische Stabilität in der Ukraine für weitere zwei Jahre des großangelegten Krieges gesichert ist. Das bedeutet nicht, dass der Krieg noch zwei Jahre dauern muss. Er kann kürzer oder länger dauern. Aber Russland wird sich nun sicherlich nicht mehr der Illusion hingeben, dass die ukrainische Wirtschaft nicht standhalten wird. Und vielleicht gibt das Putin einen zusätzlichen Anreiz, zu einem bestimmten Zeitpunkt echte Verhandlungen aufzunehmen.“

La Libre Belgique (BE) /

Geld allein schafft keinen Frieden

Europa braucht eine strategische Vision, betont La Libre Belgique:

„Eine schwere und teure Entscheidung – sehr gut. Aber das Wesentliche beginnt erst jetzt. Denn es geht nicht nur um Geld, es geht auch um Strategie. ... Die moralische Verantwortung Europas besteht nicht darin, einen trügerischen Frieden zu beschleunigen, sondern eine strategische Niederlage zu verhindern. ... Der Ukraine zu helfen, ja – aber um ein Kräfteverhältnis zu stabilisieren, nicht um die Illusion zu nähren, dass guter Wille ausreichen werde. Der Frieden wird nicht aus einem Scheck entstehen. Er wird aus einem Europa hervorgehen, das fähig ist, sich selbst als Macht zu begreifen, die diplomatische Achse zu stärken und sich wieder einen Platz am Verhandlungstisch mit den Vereinigten Staaten zu verschaffen.“

Helsingin Sanomat (FI) /

Alle gehen als Sieger nach Hause

Helsingin Sanomat sieht eine Lösung zur Zufriedenheit aller Beteiligten:

„Die Vereinbarung ähnelt insofern einem Reparationsdarlehen, als dass die Ukraine ihre Schulden gegenüber der EU nur dann zurückzahlen muss, wenn sie Kriegsentschädigungen von Russland erhält. Ist dies nicht der Fall, kann die EU auf das Vermögen der russischen Zentralbank zurückgreifen, das auf Beschluss der EU-Länder so lange eingefroren bleibt, bis Russland den Krieg beendet und Kriegsentschädigungen zahlt. Die Gelder werden jedoch nicht sofort angetastet, sodass [Belgiens Premierminister] De Wever behaupten kann, er habe das Reparationsdarlehen verhindert. Es bleibt abzuwarten, ob in Zukunft auf dieses Vermögen zugegriffen wird. Merz hält dies für möglich, Orbán hingegen nicht. Alle konnten als Sieger nach Hause gehen.“

Le Soir (BE) /

Dreifacher Erfolg für De Wever

Belgiens Premier hat politische Stärke bewiesen und Europas Einheit gesichert, lobt Le Soir:

„Hut ab! … Bart De Wever hat sich nacheinander auf drei Ebenen als außergewöhnlicher Staatsmann erwiesen: Er hat die extreme Rechte bei den Wahlen knapp geschlagen, er hat dem kleinen Belgien wieder zu einer Bedeutung auf der europäischen Bühne verholfen, die es seit Langem nicht mehr hatte, und er ermöglicht es der EU, eine Einheit (mit 24 Mitgliedern) und eine Entscheidungsfähigkeit zu zeigen, die ihr bisher schmerzlich gefehlt haben. Das ist umso bemerkenswerter, als er damit drei Säulen stärkt: die Demokratie, Belgien und Europa.“

Deník N (CZ) /

Geschichtsvergessene Mitteleuropäer

Die Regierungen Tschechiens, der Slowakei und Ungarns sind die einzigen, die sich weigern, sich an der Hilfe für die Ukraine zu beteiligen, beklagt Deník N:

„Dieser Schritt könnte künftig ganz praktische Konsequenzen für Tschechien haben. So könnte er beispielsweise den Markteintritt tschechischer Unternehmen in der Ukraine während des Wiederaufbaus nach dem Krieg erschweren, der westlichen Unternehmen große Chancen bieten wird. ... Die Zurückhaltung Tschechiens, der Slowakei und Ungarns, ihren Beitrag zu dieser zentralen europäischen Frage zu leisten, ist besonders schmerzlich, wenn man bedenkt, dass es in allen drei Ländern noch viele Zeugen der Jahre 1956 und 1968 gibt, als russische Panzer durch die Städte eben dieser drei mitteleuropäischen Länder rollten.“

Magyar Nemzet (HU) /

"Visegrád-3" aus Scheintod erwacht

Die regierungsnahe Magyar Nemzet begrüßt, dass sich Ungarn bei der Ukraine-Unterstützung heraushält:

„Viktor Orbán hat erklärt, es mache gar keinen Sinn, sogar unsere Urenkel zu verschulden, um einen Krieg, der nicht gewonnen werden kann, zu verlängern. Viel sinnvoller wäre es, Donald Trumps Friedensbemühungen zu unterstützen und auf die Beendigung des Blutvergießens in der Ukraine zu drängen. Es gibt die Hoffnung, dass er mit diesem Standpunkt in Zukunft nicht mehr allein dasteht, denn mit dem Amtsantritt des tschechischen Regierungschefs Andrej Babiš sind zumindest die Visegrád-3 aus ihrem Scheintod erwacht, auch wenn Polen andere Wege geht.“

News247 (GR) /

Herber Schlag für Merz und von der Leyen

Das Webportal News247 analysiert:

„Die Ukraine hatte gewarnt, dass sie Anfang 2026 zahlungsunfähig werden könnte, wenn sie keine zusätzliche Unterstützung erhält. Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten sich verpflichtet, das Treffen in Brüssel nicht zu verlassen, ohne sich auf eine Form der Finanzhilfe zu einigen. ... Die Entscheidung, dass die EU nun Kredite aufnimmt, die mit dem Geld der europäischen Steuerzahler besichert sind, statt die russischen Gelder dafür zu nutzen, ist ein politischer Schlag für den deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die sich für die Reparationsdarlehen eingesetzt und versucht hatten, den belgischen Premierminister Bart De Wever zum Rückzug seiner Einwände zu bewegen.“

La Stampa (IT) /

Es ist richtig, das aus eigener Kraft zu stemmen

Dass sich die EU letztlich entschieden hat, selbst für den Kredit geradezustehen, hält La Stampa für richtig:

„Die Überzeugung, dass Frieden und die Wiederherstellung der Ordnung in Europa von unschätzbarem Wert sind und dass wir in diesem Konflikt allein zurückgeblieben sind, was die Bewahrung nicht verhandelbarer Werte wie Frieden und Freiheit betrifft, ist ein gutes Argument – sofern es ernst gemeint ist – diesen Preis aus eigenen Mitteln zu bezahlen und nicht mit denen anderer, selbst wenn es sich um die des Feindes handelt. Dies ist keine Anerkennung der russischen Argumentation, sondern eine vollständige Übernahme der politischen Verantwortung gegenüber den europäischen Bürgern.“

Polityka (PL) /

Auch ein Signal an Moskau

Polityka hofft, dass damit auch die Beziehungen zu Russland klargestellt wurden:

„Zwar wird eine formelle Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte vermieden, aber ein zinsloser Kredit ist das nur dem Namen nach. In der Praxis handelt es sich um 90 Milliarden Euro nicht rückzahlbarer Hilfe für Kyjiw (in Tranchen, die in den Jahren 2026–27 ausgezahlt werden), die theoretisch in einem Reparationsabkommen mit Russland verrechnet werden soll, das jedoch in absehbarer Zukunft niemand erwartet. ... Der politische Vorteil eines solchen Reparationskredits gegenüber anderen Finanzinstrumenten besteht auch darin, dass Europa Russland unwiderruflich Verluste auferlegt, was für lange Zeit alle Bestrebungen zur Normalisierung der Beziehungen zu Moskau ohne vorigen Frieden mit der Ukraine ausbremsen würde.“

Aftonbladet (SE) /

Die EU hat die Krise nicht verstanden

Der Beschluss besorgt Aftonbladet:

„Das sind gute und schlechte Nachrichten zugleich. Gute, weil die Ukraine das Geld dringend benötigt. Schlechte, weil man sich nicht auf die Verwendung eingefrorener russischer Vermögenswerte einigen konnte. Und besorgniserregend, weil es zeigt, dass Europa immer noch kein Gespür für Krisen hat. ... Die gestrigen Verhandlungen offenbaren jedoch mehr als nur mangelndes Krisenbewusstsein. Am Verhandlungstisch der EU-Staats- und Regierungschefs scheint eine gewisse Kriegsmüdigkeit zu herrschen. Das ist beschämend, da der Krieg in der Ukraine tobt und die ukrainische Bevölkerung darunter leidet.“

Mykola Knjaschyzkyj (UA) /

So viel Power, so viel Zögern

Die Debatte über die eingefrorenen russischen Gelder ist reine Zeitverschwendung, schreibt der ukrainische Parlamentsabgeordnete Mykola Knjaschyzkyj auf Facebook:

„Es ist schwer zu verstehen, warum wir so viel Zeit und Energie auf die Frage der eingefrorenen Vermögenswerte verschwenden. Es liegt auf der Hand, dass die Europäische Union in wirtschaftlicher Hinsicht eine Supermacht ist, die in der Lage ist, die Ukraine über Jahrzehnte hinweg zu finanzieren, ohne das überhaupt zu spüren. ... Das lange Ausbleiben von Fortschritten zeigt jedoch einmal mehr die kritische Notwendigkeit, dass sich die EU an die Realität anpasst, in der das heutige Europa lebt.“