90 Milliarden Euro an die Ukraine: Guter Kompromiss?

Im Streit um einen Kredit an die Ukraine haben sich die Mitgliedstaaten der EU auf eine Zwischenlösung geeinigt. Kyjiw erhält ein zinsloses Darlehen über 90 Milliarden Euro, um sich weiter gegen den russischen Angriff wehren zu können. Die eingefrorenen russischen Vermögenswerte werden vorerst nicht dafür benutzt, auch wenn man sich diese Option für die Zukunft offenhält. Europas Presse ordnet ein.

Alle Zitate öffnen/schließen
News247 (GR) /

Herber Schlag für Merz und von der Leyen

Das Webportal News247 analysiert:

„Die Ukraine hatte gewarnt, dass sie Anfang 2026 zahlungsunfähig werden könnte, wenn sie keine zusätzliche Unterstützung erhält. Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten sich verpflichtet, das Treffen in Brüssel nicht zu verlassen, ohne sich auf eine Form der Finanzhilfe zu einigen. ... Die Entscheidung, dass die EU nun Kredite aufnimmt, die mit dem Geld der europäischen Steuerzahler besichert sind, statt die russischen Gelder dafür zu nutzen, ist ein politischer Schlag für den deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die sich für die Reparationsdarlehen eingesetzt und versucht hatten, den belgischen Premierminister Bart De Wever zum Rückzug seiner Einwände zu bewegen.“

La Stampa (IT) /

Es ist richtig, das aus eigener Kraft zu stemmen

Dass sich die EU letztlich entschieden hat, selbst für den Kredit geradezustehen, hält La Stampa für richtig:

„Die Überzeugung, dass Frieden und die Wiederherstellung der Ordnung in Europa von unschätzbarem Wert sind und dass wir in diesem Konflikt allein zurückgeblieben sind, was die Bewahrung nicht verhandelbarer Werte wie Frieden und Freiheit betrifft, ist ein gutes Argument – sofern es ernst gemeint ist – diesen Preis aus eigenen Mitteln zu bezahlen und nicht mit denen anderer, selbst wenn es sich um die des Feindes handelt. Dies ist keine Anerkennung der russischen Argumentation, sondern eine vollständige Übernahme der politischen Verantwortung gegenüber den europäischen Bürgern.“

Polityka (PL) /

Auch ein Signal an Moskau

Polityka hofft, dass damit auch die Beziehungen zu Russland klargestellt wurden:

„Zwar wird eine formelle Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte vermieden, aber ein zinsloser Kredit ist das nur dem Namen nach. In der Praxis handelt es sich um 90 Milliarden Euro nicht rückzahlbarer Hilfe für Kyjiw (in Tranchen, die in den Jahren 2026–27 ausgezahlt werden), die theoretisch in einem Reparationsabkommen mit Russland verrechnet werden soll, das jedoch in absehbarer Zukunft niemand erwartet. ... Der politische Vorteil eines solchen Reparationskredits gegenüber anderen Finanzinstrumenten besteht auch darin, dass Europa Russland unwiderruflich Verluste auferlegt, was für lange Zeit alle Bestrebungen zur Normalisierung der Beziehungen zu Moskau ohne vorigen Frieden mit der Ukraine ausbremsen würde.“

Aftonbladet (SE) /

Die EU hat die Krise nicht verstanden

Der Beschluss besorgt Aftonbladet:

„Das sind gute und schlechte Nachrichten zugleich. Gute, weil die Ukraine das Geld dringend benötigt. Schlechte, weil man sich nicht auf die Verwendung eingefrorener russischer Vermögenswerte einigen konnte. Und besorgniserregend, weil es zeigt, dass Europa immer noch kein Gespür für Krisen hat. ... Die gestrigen Verhandlungen offenbaren jedoch mehr als nur mangelndes Krisenbewusstsein. Am Verhandlungstisch der EU-Staats- und Regierungschefs scheint eine gewisse Kriegsmüdigkeit zu herrschen. Das ist beschämend, da der Krieg in der Ukraine tobt und die ukrainische Bevölkerung darunter leidet.“

Mykola Knjaschyzkyj (UA) /

So viel Power, so viel Zögern

Die Debatte über die eingefrorenen russischen Gelder ist reine Zeitverschwendung, schreibt der ukrainische Parlamentsabgeordnete Mykola Knjaschyzkyj auf Facebook:

„Es ist schwer zu verstehen, warum wir so viel Zeit und Energie auf die Frage der eingefrorenen Vermögenswerte verschwenden. Es liegt auf der Hand, dass die Europäische Union in wirtschaftlicher Hinsicht eine Supermacht ist, die in der Lage ist, die Ukraine über Jahrzehnte hinweg zu finanzieren, ohne das überhaupt zu spüren. ... Das lange Ausbleiben von Fortschritten zeigt jedoch einmal mehr die kritische Notwendigkeit, dass sich die EU an die Realität anpasst, in der das heutige Europa lebt.“