Cannes überrascht Filmkritiker

Die Internationalen Filmfestspiele von Cannes endeten am Sonntag mit Überraschungen: Entgegen aller Erwartungen wurde der Film I, Daniel Blake des Briten Ken Loach mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Den Preis für die beste Regie bekam der Rumäne Cristian Mungiu. Die Presse ist erstaunt.

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Politis (FR) /

Unverdiente Palme für Loach

Dass der Film I, Daniel Blake mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, ist aus cineastischer Sicht nicht nachvollziehbar, findet Politis:

„Nach Entgegennahme der Goldenen Palme hat Ken Loach im großen Festivalpalast eine Rede gegen die Sparpolitik gehalten: eine erfreuliche Entscheidung, passend zu den aktuellen Protesten, die insbesondere in Frankreich stattfinden. I, Daniel Blake enthält einprägsame Szenen, in denen man die Handschrift des humanistischen Regisseurs erkennt, der sich mit den Arbeiterklassen solidarisiert. Der Film leidet jedoch unter einem zähen Drehbuch. Hinzu kommt, dass einige Elemente wirken, als hätte sie ein (schlechter) Filmstudent ersonnen - und nicht ein so versierter Drehbuchautor wie Paul Laverty, der seit Jahren mit Loach zusammenarbeitet. Im Vergleich zu einigen anderen Filmen des Wettbewerbs hat I, Daniel Blake die Goldene Palme ganz klar nicht verdient.“

Adevărul (RO) /

Eine erbarmungslose Diagnose

Mungius Film Bacalaureat beschreibt, wie sich ein Vater die Korruption im rumänischen Bildungswesen zu eigen macht und seine Tochter mit Tricks und dem Ausnutzen von Beziehungen durch das Abitur bringt. Die Schriftstellerin Daniela Ratiu lobt den Film auf ihrem Blog bei Adevărul:

„Der Regisseur Cristian Mungiu erzählt uns nicht einfach eine Geschichte. … Der Film ist eine erbarmungslose Diagnose: eine chronische kognitive Dissonanz, die der Zuschauer in allen Dialogen und in allen Ereignissen spürt, die die Geschichte des Protagonisten kompliziert machen. Aus der Summe kleiner Kompromisse setzt sich der riesige Mechanismus der großen Korruption zusammen. … Vielleicht ist es gekünstelt zu sagen, dass ein Film etwas ändern kann, doch es ist möglich. Kultur ist und war schon immer eine Form des Widerstands, der Erneuerung. Sie ist wie ein kleiner Riss, der nicht umgehend für Veränderung sorgt, sondern irgendwo mit einem Punkt beginnt.“