Amoklauf und Messerattacke an Schulen: Was tun?
In einem Gymnasium im österreichischen Graz hat am Dienstag ein 21 Jahre alter ehemaliger Schüler neun Jugendliche und eine Lehrkraft erschossen, anschließend beging er Selbstmord. Gleichentags tötete im französischen Nogent-sur-Marne ein 14-Jähriger bei einer Taschenkontrolle am Schuleingang eine Mitarbeiterin mit einem Messer. Europas Presse diskutiert angesichts dieser Taten, wie und ob Schulen sicherer gemacht werden können.
Keine sicheren Oasen mehr
Die Kleine Zeitung stellt dem mentalen Zustand der Gesellschaft ein schlechtes Zeugnis aus:
„Es ist der Abschied von der Illusion, die Schule sei kein Spiegel der Gesellschaft, sondern ein vorgelagerter Schutzraum, wo man in vertrauter, sicherer Umgebung die Neugier aufs Leben einüben könne. Ausweiskontrollen, Metalldetektoren, versperrte Klassentüren: Über all das wird man jetzt reden müssen. Anders wird man das Schutzversprechen an die Jungen und ihre Eltern nicht mehr einlösen können. Die Gesellschaft ist krank, und das Kranke macht an den Pforten der Schulen nicht mehr halt.“
Kreislauf der Gewalt
Die Schriftstellerin Nicoletta Verna nimmt in La Stampa das Thema Mobbing unter die Lupe:
„Es geht um ein Phänomen, das seit Langem bekannt ist, aber nie vollständig in den Blickpunkt gerückt wurde: den Opfer-Täter-Kreislauf. Täter sind häufig Personen, die selbst gemobbt wurden. ... Aus einer im Jahr 2023 in Australien durchgeführten Studie geht hervor, dass etwa ein Viertel der Mobbingopfer ein aggressives Verhalten entwickelt. ... Es geht nicht um 'Rache', sondern um die Nachahmung eines Musters. Es ist der Glaube, dass man nur akzeptiert werden kann, wenn man das, was man erdulden musste, anderen zufügt. ... Mobbing schafft einen ständigen Kreislauf der Gewalt.“
Voyeurismus provoziert Nachahmer
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kritisiert sowohl eine wachsende Bewaffnung als auch effekthascherische Berichterstattung:
„Es macht unser tägliches Leben nicht sicherer, wenn Schusswaffen leichter verfügbar werden. In Österreich hat die Zahl der zugelassenen Waffenbesitzer in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen, von 200.000 auf 270.000 binnen zehn Jahren. ... Das andere ist ein widerlicher Voyeurismus, der schon kurz nach der schlimmen Tat an der Grazer Schule im Netz feilgeboten wurde. Da kursierten auf allen möglichen Plattformen Bilder vom Polizeieinsatz, der Evakuierung der Schule, ja, sogar von angeblichen Leichensäcken. ... Medien, die sie sich verschaffen und mit Schlagzeilen über 'Horror-Szenen' anpreisen, gehören geächtet. Auch deshalb, weil dergleichen Nachahmer reizen könnte.“
Sicherheitsmaßnahmen allein greifen zu kurz
Libération meint:
„Die Anwesenheit von Ordnungskräften zum Zeitpunkt der Tat [in Frankreich] hebt die Notwendigkeit nicht auf, über geeignete Sicherheitsmaßnahmen nachzudenken, um ähnliche Tragödien künftig zu verhindern. ... Zum Beispiel ist die zunehmende Verbreitung von Stichwaffen zweifellos ein Problem, das angegangen werden muss. Doch der Tod der Aufsichtsperson des Collège Françoise-Dolto in Nogent zeigt auch, dass das Thema Gewalt im schulischen Umfeld viel zu komplex ist, um ihm mit vorgefertigten Sicherheitslösungen beizukommen. Die richtige Antwort liegt vielmehr im Zusammenspiel von pädagogischen und sicherheitsbezogenen Maßnahmen.“
Kaum aufhaltbare Selbstzerstörung
Schärfere Waffengesetze verhindern Amokläufe nicht, meint Večernji list:
„Amokläufe sind eine Art von Selbstmord: entweder die Täter nehmen sich am Ende selbst das Leben, die Polizei tötet sie oder sie enden in einer Zelle mit langer Haftstrafe – es sind selbstzerstörerische Taten. Diese Tatsache unterscheidet Amokläufe von anderen Verbrechen und deswegen werden traditionelle Vorbeugemaßnahmen wie stärkere Waffenkontrollen oder höhere Strafen für diesbezügliche Verstöße Amokläufer kaum aufhalten. Diese Täter sind keine Opfer. Aber um künftige Tragödien zu verhindern, muss man die Grundpathologie behandeln, die die Verzweiflung in den Tätern nährt.“
Wie weit müssen wir noch gehen?
Le Quotidien schließt nicht aus, dass immer striktere Vorsichtsmaßnahmen gegen Jugendgewalt getroffen werden müssen:
„Während in Österreich die Ermittlungen zur unfassbaren Bluttat von Graz gerade erst beginnen, hat die französische Regierung beschlossen, schnell zu reagieren und den Verkauf von Messern an Minderjährige zu verbieten. Ein Verbot, das auch Internetseiten betreffen wird. Frankreichs Präsident kündigte an, soziale Netzwerke für unter 15-Jährige zu sperren, falls die EU das nicht tut. ... Ja, so weit ist es gekommen. ... Müssen wir noch weiter gehen? Immer weiter?“