Brauchen EU-Staaten Tempolimits?

In mehreren europäischen Ländern wird derzeit über Tempolimits diskutiert. Dabei geht es auch um die Frage, ob so die EU-Vereinbarungen zum Klimaschutz eingehalten werden können. Während Berlin ein generelles Tempolimit ablehnt, haben Frankreich und Spanien die erlaubte Höchstgeschwindigkeit auf Landstraßen gesenkt. Kommentatoren erklären, warum die Deutschen nicht langsamer fahren wollen.

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Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Flexible Steuerung statt starre Verbote

Dass ein generelles Tempolimit ein bedeutender Beitrag zum Klimaschutz wäre, bezweifelt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

„Nach einer Untersuchung der Bundesanstalt für Straßenwesen würden die gesamten CO2-Emissionen in Deutschland durch ein generelles Tempolimit von 120 km/h nur um 0,27 Prozent sinken. Tempo 130 km/h hätte gar keinen Effekt. Nein, mit festem Limit wäre nichts gewonnen, nur ein weiteres Stück Freiheit beschnitten. ... Viel sinnvoller ist eine flexible Steuerung, die auf Verkehrslage und Wetter Rücksicht nimmt und die Höchstgeschwindigkeit situationsabhängig anpasst. Starre Limits, die für alle Verhältnisse immer dieselbe Höchstgeschwindigkeit vorgeben, passen eben gerade nicht in ein modernes Verkehrssystem. Und der Freude an Verboten, nur um der Verbote willen, sollten wir uns sowieso entgegenstellen.“

Financial Times (GB) /

Freiheit auf der Autobahn ist Deutschen heilig

Das Auto und damit verbundene Freiheiten haben eine besondere Stellung in der Psyche der Deutschen, weiß Financial Times:

„In einer Gesellschaft, die oft als sehr stark reguliert betrachtet wird, ist die Freiheit, auf mehr als 200 km/h beschleunigen zu können, eine Art Befreiung, ein Ventil. Generell ist 'das Auto' einerseits eine Quelle des Stolzes, weil es Ausdrucksform jener Ingenieurskunst ist, die den wirtschaftlichen Erfolg des Landes möglich gemacht hat. Andererseits bietet es die Möglichkeit, die eigene Persönlichkeit auszudrücken. Die Verkehrsmeldungen im morgendlichen Radio werden mit der Feierlichkeit eines Rufs zum Gebet vorgetragen. Wenn man erklärt, dass man früher aus der Arbeit wegmuss, um das Auto aus der Werkstatt zu holen, erhält man ähnliche Sympathiebekundungen wie ein Elternteil, der von seinem kranken Kind erzählt.“

RTL (FR) /

Lästig aber lebensrettend

Aufgrund Kritik unter anderem aus der Gelbwesten-Bewegung hat Frankreichs Premier Philippe signalisiert, die im Sommer eingeführte Absenkung der Höchstgeschwindigkeit auf zweispurigen Landstraßen auf 80 km/h aufzuweichen. Die Entscheidung soll den Départements überlassen werden. Doch die Rückkehr zu Tempo 90 ist für RTL-Kolumnistin Alba Ventura nicht ausgemacht:

„Philippe hat die Maßnahme nicht aus dem Hut gezaubert, 'um die Franzosen zu nerven', sondern weil ihm das Thema am Herzen liegt. Das Problem ist, dass er das - wie üblich - von oben herab getan hat. ... Ich bin nicht sicher, ob die Départements auf allen Strecken wieder zu Tempo 90 zurückkehren werden. Vor allem auf gefährlichen Abschnitten und angesichts der ermutigenden Ergebnisse ist das zu bezweifeln. Sie werden die Verantwortung tragen. Wie Sie wissen, sind die Todesanzeigen oft das erste, was in der Zeitung gelesen wird.“

El Periódico de Catalunya (ES) /

Wahlkalkül wichtiger als Menschenleben

In Spanien gilt seit Dienstag auf vielen Landstraßen Tempo 90, statt wie zuvor Tempo 100. Dass die Gesetzesänderung unter der konservativen Vorgängerregierung jahrelang in der Schublade verstaubte, ärgert El Periódico de Catalunya:

„Mehr als 900 Menschen starben 2018 auf Landstraßen, die meisten wegen überhöhter Geschwindigkeit. Die PP-Regierung meinte allerdings, dass eine Senkung der Höchstgeschwindigkeit unbeliebt wäre und die Wahlchancen hätte mindern können. Acht Jahre nach Verfassen des Gesetzvorschlags und fast 40 Jahre nach Festsetzen der Höchstgeschwindigkeit auf 100 Stundenkilometer führt Spanien nun also die von Fachleuten empfohlene und in halb Europa bereits umgesetzte Maßnahme ein. Nun muss sie schnellstmöglich um- und mit Radarfallen und erhöhter Kontrolle durchgesetzt werden.“