Minsk klagt über Druck aus Moskau

Der Präsident von Belarus, Alexander Lukaschenko, hat Putin vorgeworfen, sein Land durch hohe Energiepreise zu einer Vereinigung mit Russland zu drängen. Beobachter vermuten schon länger, dass Putin den Plan hat, 2024 als Präsident eines dadurch neu geschaffenen Staates zu kandidieren. Was halten die Menschen in Belarus davon?

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Nowaja Gaseta (RU) /

Belarussen blicken viel mehr nach Westen

Der aus Belarus stammende, international tätige Politikberater Vitali Schkljarow erklärt in Nowaja Gaseta, warum die belarussische Bevölkerung mehrheitlich gegen einen Zusammenschluss mit Russland ist:

„Einen Betritt Russlands zu einem Unionsstaat zu den Bedingungen von Belarus, ein Umbau der russischen Wirtschaft und Politik nach weißrussischem Muster - so eine Variante könnten Menschen, die für Lukaschenko stimmen, noch akzeptieren. Aber nicht umgekehrt. Die junge Generation hingegen, diejenigen, die weiter in die Zukunft schauen als ein paar Monate voraus, sehen Belarus als europäischen Staat. Die Jugend ist eindeutig auf eine Integration mit Lettland, Litauen, Polen, der Ukraine und anderen westlichen Ländern gepolt. ... Denn dorthin fahren sie zum Studieren und Arbeiten, dorthin bauen sie ihre Kontakte auf.“

NV (UA) /

Lukaschenko hat jetzt drei Optionen

Publizist Iwan Jakowyna skizziert in Nowoje Wremja verschiedene Handlungsoptionen für Lukaschenko:

„Die erste ist, unter Schmach Putin das ganze Land zu geben, sich und seinen Nachkommen jedoch ein sicheres Leben in Moskau zu ermöglichen. Die zweite Möglichkeit ist, Widerstand zu leisten. Bei dieser Variante wird er jedoch ziemlich sicher verlieren, und zwar alles. Drittens kann er aber auch wirklich demokratische vorgezogene Wahlen durchführen. So kann er sein Land friedlich einem Nachfolger übergeben und der wiederum kann dann Hilfe vom Westen bekommen, zur Wahrung der Unabhängigkeit.“

Rzeczpospolita (PL) /

Es hängt vom Westen ab

Das Schicksal von Belarus hängt von Europa ab, meint Rzeczpospolita:

„Man hat den Eindruck, dass sich das wirtschaftlich ineffiziente Belarus heute an einem Wendepunkt befindet. Die Russen haben es in ihren Klauen. Sie können es mit Gas- und Ölpreisen zerstören und übernehmen, was unter anderem zum Ausbau militärischer Strukturen auf dem heute militärisch ungenutzten Gebiet führen würde. Lukaschenko widersetzt sich jedoch. Er hat Putin wiederholt ein 'Nein' entgegengesetzt, und kündigte sogar die Schaffung eines unabhängigen belarussischen Fernsehsenders an, der sich gegen die Kreml-Propaganda richtet. Der Westen hat eine harte Entscheidung zu treffen. Lukaschenko unterstützen und damit die Unabhängigkeit Belarus' bewahren oder sich vom Diktator abwenden?“

Lrytas (LT) /

Kommt ein belarussischer Maidan?

Der ehemalige Chef des litauischen Staatsicherheitsdienstes, Mečys Laurinkus, sieht in Belarus eine an die Ukraine erinnernde Protestbewegung heranreifen und schreibt auf lrytas.lt:

„Die Situation ist für Lukaschenko völlig anders, als es noch vor fünf Jahren der Fall war. Die Wirtschaft bewegt sich in Richtung eines Crashs und das Lukaschenko-Umfeld hat nicht vor, zusammen mit dem unaustauschbaren Führer in den Abgrund zu stürzen. Lukaschenko ist nicht naiv, er versteht, dass er sich früher oder später zurückziehen muss, und besser nicht nach dem Vorbild des Maidan. Doch genau so etwas braut sich in Belarus meiner Meinung nach gerade zusammen.“

newsru.com (RU) /

Russland ist alles andere als attraktiv

Der Sozialpsychologe Alexej Roschtschin zeigt in einem von newsru.com übernommenen Blogbeitrag Verständnis für die Minsker Abwehrhaltung:

„Russlands Hauptmanko ist seine fehlende Attraktivität. Welcher Dummkopf möchte schon eine 'Integration' in unser Land? Hier gibt keine Freiheit und keine Wissenschaften. Rechtsprechung? Fehlanzeige. In keinem Bereich außer dem Abpumpen von Brennstoff aus der Erde gibt es Erfolge zu verzeichnen. Es heißt, Belarus (wie auch die Ukraine) würden auch nicht gerade durch herausragende Errungenschaften auf irgendeinem Gebiet auffallen. Stimmt, aber wozu sich dann in unser Land 'integrieren'? ... Es ist doch klar: Sollte sich ein kleines Land irgendjemandem anschließen wollen, dann doch wohl jemandem, der groß, stark und vor allem sehr attraktiv ist.“