Ist ein Impeachment gegen Trump jetzt noch sinnvoll?

Wenige Tage vor der Vereidigung Joe Bidens wollen die Demokraten seinen Vorgänger des Amtes entheben. Eine entsprechende Resolution brachte die Partei am Montag ins Repräsentantenhaus ein. Die Begründung: Trumps "Anstiftung zum Aufruhr" vor dem Sturm auf das Kapitol. Europas Presse ist gespalten, was Zeitpunkt und Zweckmäßigkeit eines Impeachments gegen den bereits abgewählten Präsidenten betrifft.

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Liberal (GR) /

Null Toleranz gegenüber politischer Kriminalität

Trump abzusetzen wäre ein wichtiges Signal für Demokratien weltweit, findet das Webportal Liberal:

„Es spielt keine Rolle, ob nur noch wenige Tage bis zum Ende der Amtszeit von Präsident Trump verbleiben. Die Tatsache, dass er seine Mitbürger mit der Behauptung aufhetzte, dass die Wahl, deren Ergebnis auch von den Gerichten ratifiziert wurde, illegal sei, ist ein reiner Versuch, das demokratische Regime zu stürzen. ... Wir hoffen, dass der neue US-Präsident nicht zögert, zu zeigen, wie man mit potenziellen Putschisten umgehen muss, und diesem Beispiel muss man in Europa und insbesondere in unserem Land folgen. Die Toleranz gegenüber politischer Kriminalität muss aufhören.“

Polityka (PL) /

Eine symbolische Pflicht - aber nicht nur

Polityka befürwortet das Amtsenthebungsverfahren vor allem im Hinblick auf den künftigen Einfluss des scheidenden Präsidenten:

„Die Amtsenthebung Trumps wird – leider – ein im Wesentlichen symbolischer Akt bleiben. Befürworter des Schrittes weisen jedoch darauf hin, dass es eine moralische Pflicht des Kongresses ist, wie es auch vor über einem Jahr seine moralische Pflicht war, als der Präsident beschuldigt wurde, seinen ukrainischen Kollegen dazu gedrängt zu haben, eine Untersuchung gegen Bidens Sohn einzuleiten, um seinem Rivalen vor der Wahl zu schaden. Dieses Mal geht es auch darum, einen weiteren für das Land gefährlichen und schädlichen Schritt des unvorhersehbaren Präsidenten zu verhindern. ... Die Amtsenthebung könnte die Entschlossenheit der Sicherheitskräfte stärken, einem nächsten Putschversuch Trumps entgegenzuwirken.“

Die Presse (AT) /

Er ist doch schon abgewählt

Die Presse findet das Amtsenthebungsverfahren entbehrlich:

„Die US-Wähler haben Trump bereits des Amtes enthoben. Am 20. Jänner wird Joe Biden angelobt. Vor seiner Inauguration kann der Impeachment-Prozess gegen Trump nicht abgeschlossen sein. Und ihn nach Ende der Amtszeit abzusetzen, käme dann doch etwas spät und stähle dem neuen Mann im Weißen Haus bloß die Show. So viel Aufmerksamkeit verdient Trump nicht mehr. ... Selten hat sich ein Politiker dermaßen disqualifiziert wie der notorische Lügner und Demagoge Donald Trump. Ein ehernes Prinzip der Demokratie besteht darin, Wahlniederlagen zu akzeptieren und die für beschränkte Zeit geliehene Macht anstandslos wieder abzugeben. Wer dazu nicht fähig ist, dem sollte der Zutritt auf das Spielfeld für immer verwehrt bleiben. Doch diese Aufgabe fällt der Republikanischen Partei zu.“

La Vanguardia (ES) /

Eine Sache der Republikaner

Wirkungsvoller wäre es, wenn die eigene Partei mit Trump abrechnet, meint La Vanguardia:

„Es wäre gut, wenn Trump durch den von ihm unterstützten Sturm auf das Kapitol gebrandmarkt wird und stigmatisiert bleibt als das, was er ist: eine Person, die unfähig ist, dieses Amt auszuüben und daher keine Chance haben sollte, es in der Zukunft erneut zu besetzen. Aber Anschuldigungen und ein Absetzen durch die Demokraten, so gerechtfertigt sie auch sein mögen, sind nicht unbedingt die beste Art und Weise, dies zu erreichen. Es wäre wohl besser, er würde von Seiten der Republikaner in die Schranken gewiesen, was bislang nur in einem sehr geringen Ausmaß geschehen ist. ... Man muss eine Formel finden, um Trump zu entschärfen. Das muss nicht unbedingt schnell gelingen, aber dauerhaft.“

Hospodářské noviny (CZ) /

Polen und Ungarn blicken gespannt nach Washington

In Warschau und Budapest wird man sehr genau verfolgen, wie der US-Rechtsstaat mit dem Ende der Ära Trump umgeht, glaubt Hospodářské noviny:

„In Europa hat die Frage der Rechtsstaatlichkeit bislang hauptsächlich aufgrund der Situation in Ungarn und Polen Resonanz gefunden. Jetzt hat sich der Fokus auf den Abschluss von Trumps Präsidentschaft verlagert und darauf, was dies für den US-Präsidenten und seine Verbündeten beispielsweise in der Strafjustiz bedeuten wird. Bei all den Unterschieden in den Rechtssystemen wird dies für Trumps Verbündete in Budapest oder Warschau aufgrund ihrer persönlichen Zukunftsaussichten äußerst interessant sein. Es wird entschieden, ob und wie die Rechtsstaatlichkeit gegen jene zurückschlagen wird, die sie jahrelang untergraben haben.“