Wackelt die britische Monarchie?

Noch immer schlägt das Interview von Prinz Harry und Meghan mit der US-Talk-Ikone Oprah Winfrey auch in Europas Presse hohe Wellen. Das Paar hatte unter anderem Rassismus, Druck durch den Palast und Selbstmordgedanken der jungen Herzogin thematisiert. Kommentatoren diskutieren, ob Großbritannien nun wohl die Monarchie hinterfragen wird.

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Keskisuomalainen (FI) /

Den Royals kommt kein Brite davon

Niemand kann sich in Großbritannien der Aufregung um das Königshaus entziehen, meint Keskisuomalainen:

„Unsere nordischen Nachbarn scheinen ihren Königen angenehm entspannt gegenüberzustehen. Und auch die nordischen Royals erschaffen von sich ein schlichteres Image. Großbritannien ist eine stark ausgeprägte Klassengesellschaft, was sich auch in der Beziehung der Briten zu ihrem Königshaus zeigt: Entweder ärgert man sich über die im Überfluss lebende Königsfamilie oder man ist von ihr verzückt. ... Die Medien trommeln nun entweder für oder gegen das Interview des Paares. Und diesem Trommeln kann sich kaum ein Brite entziehen: Man muss einfach Stellung beziehen.“

Süddeutsche Zeitung (DE) /

Ein Anachronismus

Dass der Wunsch nach einer Modernisierung des Königshauses immer drängender wird, glaubt die Süddeutsche Zeitung:

„Die britische Monarchie weiß seit Jahrzehnten, dass es in diesen Familienkonflikten immer auch um ihren Bestand geht, um die zeitgemäße Adaption eines feudalen Systems ... Wie reformiert man eine Institution, die auf einer tausendjährigen Geschichte ruht? So leicht lässt sich die Monarchie eben nicht wegwischen, wie das ihre Gegner wünschen. Im Kern bleibt sie dennoch anachronistisch: Ein Staat kann sich einer Idee unterwerfen, aber nicht einer Person, die per Geburt zur Führung erkoren ist.“

Gordonua.com (UA) /

Schauspieler mit Krone

So schnell werden Monarchien nicht von der Bildfläche verschwinden, erklärt hingegen Politologe Igor Eidman in gordonua.com:

„Es gibt keinen praktischen Grund, die symbolischen Attribute der Monarchie in demokratischen Ländern beizubehalten. … Finnland, Deutschland, Österreich, Frankreich usw. kommen wunderbar ohne Könige und Königinnen zurecht. Auf der anderen Seite stört die Monarchie den Wohlstand in Schweden, Dänemark, Norwegen usw. auch nicht. Europäische Monarchien werden existieren, solange erwachsene Kinder Märchen von schönen Prinzessinnen und Prinzen und weisen Königinnen und Königen brauchen. Solange es eine Nachfrage nach diesen Bildern gibt, werden die gekrönten Schauspieler nicht arbeitslos werden.“

The Independent (GB) /

Die Firma ist am Ende

Die Tage für das britische Königshaus sind gezählt, glaubt The Independent:

„Natürlich fragt man sich ein wenig 'Mit welchen Multimillionären soll ich heute Mitleid haben?', wenn man mit dem Problem Harry und Meghan gegen Charles, William und Konsorten konfrontiert wird. Aber das Interview war überraschend aufschlussreich. ... Und so wird die königliche Institution ihr Ende finden. Nicht mit einem lauten Knall, sondern mit Oprah. Vielleicht schleppt sie sich noch durch ein paar Generationen, aber jemand hat jetzt wirklich alles offen gelegt: die beiläufigen Grausamkeiten, die sinnlosen Gemeinheiten, die schwindende Bedeutung, die symbiotische Beziehung mit der Boulevardpresse, die wie ein letztes Keuchen ist, das die Firma gerade noch am Leben hält. Es ist schwer vorstellbar, dass es noch viel länger weiter gehen wird.“

Sydsvenskan (SE) /

Für die Krone sind nicht alle Menschen gleich

Dass dem Königshof laut Meghan und Harry die Hautfarbe künftiger Kinder Sorge bereitet hat, findet Sydsvenskan empörend:

„Der Hof, so sollte man meinen, hätte die Gelegenheit nutzen können, um der Welt zu zeigen, dass dieses ethnisch so vielfältige Land zusammenhält. Angesichts von Millionen Zuwanderern aus Afrika, aus der Karibik, aus Asien und Ozeanien und angesichts der Polen, Rumänen und Iren, die in den letzten Jahren gekommen sind, hätte es eine einende Botschaft gebraucht: Briten können ganz verschieden aussehen, können alle möglichen Hautfarben haben. Aber eigentlich wäre das gar nicht nötig - auch in Großbritannien sollte es selbstverständlich sein, dass die Familie des Staatsoberhauptes voll und ganz hinter einem so zentralen Prinzip wie der Gleichwertigkeit aller Menschen steht.“

La Repubblica (IT) /

Wieder eine Chance verpasst

Das britische Königshaus hat aus der Tragödie von Lady Di nichts gelernt, klagt La Repubblica:

„Die Anschuldigungen, die Meghan und Harry gegenüber der königlichen Familie erhoben, erinnern an das Fernsehinterview mit Lady Di vor einem Vierteljahrhundert. ... Natürlich sind die Gründe für Dianas Scheidung vom Thronfolger und die 'Scheidung' des Herzogs und der Herzogin von Sussex von der Firma, wie die britische Monarchie genannt wird, unterschiedlicher Natur. Aber die Substanz ist dieselbe: In beiden Fällen eine verpasste Gelegenheit für die Windsors, sich zu modernisieren. ... Zwei junge Frauen hätten die lange Regentschaft von Elizabeth II. erneuern können: Beide wurden von einem Establishment abgelehnt, das nicht nur aus drei Generationen der königlichen Familie besteht, sondern auch aus dem Hofstaat-Apparat, der sie lenkt.“

Ilta-Sanomat (FI) /

Frauen, die reden, sind verpönt

Für Ilta-Sanomat sagen die Enthüllungen viel über den Umgang mit Frauen in der Monarchie aus:

„Es bleibt die Frage, warum im Jahr 2021 noch immer Menschen eine Institution bewundern, in der von Frauen erwartet wird, sich in eine enge, vorher festgelegte Form zu fügen. Eine Institution, in der die Frau als schwierig bezeichnet wird, wenn sie sich traut, zu Missständen, die ihr auffallen, Stellung zu beziehen und diese offen anzusprechen. Meghans und Harrys Interview bei Oprah kann man als PR-Spektakel, als Hilferuf oder alles dazwischen ansehen, je nachdem, wie man es betrachtet. Es ist aber schon seltsam, dass Meghan von so vielen als Lügnerin bezeichnet wurde, obwohl die schweren Anschuldigungen im Lichte der Geschichte sehr wohl wahr sein können. Schon früher hat der britische Königshof nicht viel für Frauen übrig gehabt, die eine eigene Meinung vertreten und Grenzen überschreiten.“

Polityka (PL) /

Sie hat dieses Schicksal gewählt

Wenig Mitleid mit Meghan zeigt indes Polityka:

„In den 1990er-Jahren weinte Diana in einem Interview mit dem BBC-Journalisten Martin Bashir und 2021 wischt Meghan etwas theatralisch ihre Tränen ab. Sie ist älter, viel erfahrener, Schauspielerin und Geschäftsfrau mit einem liebevollen Ehemann an ihrer Seite. Sie gab Windsor die Möglichkeit, sein Image zu modernisieren und aufzufrischen. Man betonte, dass ihre Hautfarbe von Vorteil war und die Monarchie sich neuen Realitäten und Werten öffnen musste. Die Queen begrüßte sie mit offenen Armen und verbrachte viel Zeit mit ihr. Sie tat es voller Überzeugung und vergaß fast ihre Lieblingsprinzessin Kate. ... Als Markle in die königliche Familie eintrat, wusste sie, dass sie sich für ein strenges Protokoll und Regeln entscheidet. Sie war kein unschuldiges Rehlein.“

Seznam Zprávy (CZ) /

Die Welt hat echt andere Probleme

Kopfschüttelnd notiert der frühere London-Korrespondent Jiří Hošek in Seznam Zprávy:

„Inmitten einer viele Menschenleben fordernden Pandemie aus einem solchen Interview ein Weltereignis zu machen, erscheint mir wenig einfühlsam, sondern eher pervers. Wir können zudem nicht sicher sein, ob das alles stimmt, was da präsentiert wurde. Etwa der Vorwurf des widerlichen Rassismus. Ebenso beunruhigend die Aussagen über Selbstmordgedanken. Doch war das so? Das Gespräch wird wohl bei den Anhängern der Monarchie eine sehr scharfe Gegenreaktion auslösen. Meghan und Harry haben hier in ein Wespennest getreten. Generell aber gilt: die Welt hat jetzt wirklich wichtigere Sorgen.“