Explosion in Beirut: Ein Jahr später

Am 4. August 2020 detonierte im Hafen von Beirut eine riesige Lagerhalle voller Chemikalien in der größten nicht-nuklearen Explosion der Menschheitsgeschichte. Aktuelle investigative Recherchen geben vor allem Behörden und Politik die Verantwortung für die Katastrophe. Doch genau diese blockieren nun die Ermittlungen - symptomatisch für den dysfunktionalen Staat, meint die Presse.

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Il Manifesto (IT) /

Blockierte Gerechtigkeit

Bis heute liegen die Hintergründe der Explosionskatastrophe im Dunkeln, klagt Il Manifesto:

„Die Uhren, die um 18.08 Uhr stehen geblieben sind und in den Tagen nach der Explosion im Hafen von Beirut in den Trümmern gefunden wurden, sind das Symbol für eine emotionale und psychologische Blockade. ... Und für eine Blockade, die vielleicht noch schwerwiegender ist: die der Gerechtigkeit. Denn bis heute wurde nichts unternommen, um denjenigen, die materielle und moralische Verantwortung tragen, Namen und Gesichter zu geben. ... Die Familien der Opfer versammeln sich am 4. eines jeden Monats vor dem Gericht, das mit dem Fall befasst ist, um zu protestieren. ... Sie wollen Gerechtigkeit.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Schuld ohne Sühne

Die juristische Aufarbeitung droht am Widerstand der korrupten Eliten zu scheitern, fürchtet auch die Neue Zürcher Zeitung:

„Über sechs Jahre lagerten bis zu 2750 Tonnen explosives Ammoniumnitrat in einem schlecht belüfteten Hangar, in dem zum Zeitpunkt der Explosion auch Feuerwerkskörper, Öl und Kerosin untergebracht waren. In dieser langen Zeit gab es unzählige Momente, in denen verschiedene Amtsträger das Richtige hätten tun können. ... Warum sich niemand zuständig fühlen wollte für die Chemikalien und warum sie sich entzündeten, bleiben offene Fragen. ... Doch das Parlament und die Regierung blockieren die Justiz. Einzig entschlossener internationaler Druck könnte vermutlich Bewegung in die Sache bringen.“

Le Monde (FR) /

Das Krebsgeschwür heilt nicht mehr

Westliche Länder knüpfen finanzielle Hilfen an Bedingungen, stellen diese jedoch derselben korrupten Elite, kritisiert der aus dem Libanon stammende Unternehmer Mounir Corm in Le Monde:

„Von dieser politischen Klasse Reformen zu fordern, ist so, als hoffe man, dass sich eine bösartige Krebsgeschwulst im Endstadium selbst heilt. Die früheren Kriegsherren und Oberhäupter feudaler, raubtierhafter und mafiöser Familien, die seit über 30 Jahren regieren, werden sich nicht selbst reformieren. Zweitens ist die Haltung absolut scheinheilig. Sie gibt vor, zu vergessen, dass das betrügerische politische und finanzielle System, das von der Zentralbank und dem Bankensektor eingeführt wurde und dessen Eckpfeiler 20 Jahre lang die Familie Hariri stellte, seit Anfang der 1990er Jahre von ebendiesen westlichen Regierungen unterstützt wurde.“