Russland: Bis 2060 zum grünen Riesen?

Man wisse nicht, was die Ursachen des Klimawandels seien, hatte Wladimir Putin noch 2019 laviert. Mittlerweile hat der Kreml seine diffuse Position aufgegeben und will Russland bis 2060 klimaneutral machen. Kommentatoren diskutieren, wie realistisch das ist, was zu diesem Sinneswandel geführt hat und wie ernst Moskau ihn meint.

Alle Zitate öffnen/schließen
NV (UA) /

Exportwirtschaft braucht den Wandel

Sergei Guriev, ehemaliger Chefökonom der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, hat in NV eine Erklärung für die neuen grünen Töne aus dem Kreml:

„Insbesondere plant die EU die Einführung eines CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM), der eine Abgabe auf einige kohlenstoffintensive Importe von außerhalb der EU erheben wird. ... [D]ie russischen Unternehmen, die von der CBAM betroffen sein werden – Exporteure von Stahl, Aluminium und Düngemitteln – [sind] wichtige politische Akteure, denen es gelungen ist, die Regierung und den Präsidenten davon zu überzeugen, den Politikwechsel der EU ernst zu nehmen.Der andere Grund für Putins offensichtliche Dekarbonisierungsbestrebungen ist, dass der Klimawandel Russland die Möglichkeit bietet, seine internationale Isolation zu überwinden.“

Gordonua.com (UA) /

Das wird richtig wehtun

Der Politologe Igor Eidman schließt auf gordonua.com nicht aus, dass die EU-Zölle zu einem Zusammenbruch der russischen Wirtschaft führen:

„Russland wird wahrscheinlich nicht in der Lage sein, die Anforderungen einer neuen klimaneutralen Wirtschaft zu erfüllen. Die Verluste, die dem Land durch die von der EU geplante Einführung einer grenzüberschreitenden CO2-Steuer drohen, werden auf zig Milliarden Euro geschätzt. Russland droht ein Verlust von Einnahmen aus Rohstoffexporten und in der Folge ein wirtschaftlicher Zusammenbruch. Dieses Szenario wird mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten fünf bis zehn Jahren eintreten.“

Nowaja Gaseta (RU) /

Klimawandel als perfekter Sündenbock

Zukünftig dürfte der Klimawandel als Allzweck-Begründung für allerlei Missstände im Land herhalten, befürchtet Nowaja Gaseta:

„Eben erst lagen Dutzende Surfer nach Fahrten im Finnischen Meerbusen schwer vergiftet danieder: Astroviren und Rotaviren. Das Wasser stank nach Fäkalien. Glauben Sie etwa, schuld daran waren die unterschlagenen Gelder für den Bau von Kanalisationen? Nein, das ist die globale Erwärmung. Oder das Fischsterben dort im Pjasino-See. Sie denken, [der Bergbaukonzern] Nornickel lässt aus seiner Abraumhalde eine Höllenmixtur in die Tundra sickern? Nein, das war der Klimawandel! Und die erhöhten Krebserkrankungen in Krasnojarsk? Etwa wegen des Smogs über der Stadt? Nein, Klimawandel. Und so weiter und so fort.“