Serbien: Erneut Massendemonstration gegen Vučić

In der serbischen Hauptstadt Belgrad haben am Samstag wieder Zehntausende Menschen gegen das Regime von Aleksandar Vučić und für vorgezogene Parlamentswahlen demonstriert. Im Anschluss kam es zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstranten. Die Proteste in Serbien dauern inzwischen schon seit acht Monaten an. Auslöser war das Unglück am Bahnhof von Novi Sad am 1. November 2024, bei dem 16 Menschen starben.

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Peščanik (RS) /

Im Ziel vereint

Dass im Rahmen der Protestreden auch nationalistische Töne zu vernehmen waren, wertet Pešćanik eher positiv:

„Ist die Studentenbewegung nach rechts gerückt, weil man diese zwei, drei Redner eingeladen hat? ... Oder zeigt es einfach, wie man in einem gemeinsamen Hochhaus leben sollte? Hauptsache, die Musik dröhnt nicht, egal welche Musik die Nachbarn spielen, und dass die Hausordnung eingehalten wird, der alle Bewohner zugestimmt haben. ... Die aktuelle Situation ist entweder-oder. Die oder wir. Aber vielleicht kann man sie nur durch ein sowohl-als-auch lösen. Die und wir. Wir suchen uns unsere Familie nicht aus, die Nachbarn, Mitbürger. Aber wir suchen uns aus, wer in unserem Namen die Staatsgeschäfte führt. Als Erstes sollten wir uns aussuchen, wer sie nicht führen soll.“

Politiken (DK) /

Lasst das Volk entscheiden

Aus Sicht von Politiken ist es höchste Zeit für einen Urnengang:

„Es ist ein Kampf zwischen liberalen Demokraten und einem illiberalen Vučić-Regime, das in seiner politischen Ausrichtung dem Enfant terrible der EU, Ungarn, näher steht als den Grundwerten, für welche die EU grundsätzlich steht. Auch hat sich Aleksandar Vučić geweigert, sich an den Sanktionen gegen Russland wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zu beteiligen. Aus diesem Grund dürfte der Showdown in Serbien für uns im Rest der EU von größtem Interesse sein. Ein Serbien, das sich zur liberalen Demokratie bekennt, würde die Union stärken. Eines, das die Vučić-Linie weiterverfolgt, würde sie derart schwächen, dass eine EU-Mitgliedschaft außer Frage stünde. Was wollen die Serben? Lassen Sie sie darüber abstimmen.“

Frankfurter Rundschau (DE) /

Zuschauen geht nicht mehr

Die Frankfurter Rundschau fordert Europa auf, Vučić klarer entgegenzutreten:

„Die Rücknahme der Visafreiheit für Reisen in die Schengen-Zone ... würde die Falschen treffen und wäre ein fataler Schritt. Doch ob der überfällige Rauswurf der russophilen Regierungspartei SNS aus der christdemokratischen Parteienfamilie EVP, das Aussetzen der ohnehin völlig festgefahrenen Beitrittsverhandlungen oder das Einfrieren bewilligter Vor-Beitritts-Mittel: Möglichkeiten zur Distanzierung von den Belgrader Demokratie-Totengräbern haben die EU-Partner genug, jetzt müssen sie handeln. Europa kann es sich nicht mehr leisten, in Serbien nur noch zuzuschauen.“

Jutarnji list (HR) /

Was für ein Land wollen die Demonstranten?

Wieder rückt die Gewalt in den Vordergrund, bedauert Jutarnji list:

„Es wäre überraschend gewesen, wenn der Protest gegen die Allmacht von Aleksandar Vučić und der Oligarchie anders geendet hätte als in Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizei. Vučić hatte letztlich recht, hatte er doch im Vorfeld bereits angekündigt, dass die Proteste in Gewalt münden würden. ... Dadurch bekamen die Ordnungskräfte schon im Voraus eine Rechtfertigung für die Repression gegen diejenigen, die auf einen Regierungswechsel pochen. So rückte einmal mehr die Gewalt in den Vordergrund und nicht die Reden während der Proteste. ... Diese dauern schon seit acht Monaten an, ohne dass man weiß, was für ein Serbien die Kritiker von Vučić wollen, die seinen Abtritt fordern.“

Večernji list (HR) /

Das bringt nichts Gutes

Im Unterschied zu den bisherigen Protesten waren diese von der Rhetorik her extrem nationalistisch, stellt Večernji list fest:

„Die Reden der Studenten während der Demonstration am Vidovdan [serbischer Nationalfeiertag am 28. Juni] hatten eine ausgesprochen nationalistische Note. ... Serbien ist der Nationalismus schon öfter zum Verhängnis geworden. ... Doch stört sich daran niemand. Mithin wird ein neues Arrangement gegen den 'Herrscher' mit einem potentiellen [Vojislav] Koštunica [ehemaliger Premier] an der Spitze einer neuen Generation kaum etwas Gutes bringen. Vučić kann gestürzt werden, es wurde ja auch Milošević gestürzt. Was danach folgte, sahen und sehen wir immer noch. Und Vučić selbst stürzt das Land in noch tieferes Leid, indem er sich gegen die Realität stellt.“