80 Jahre Stalingrad und Putins Propaganda

Am gestrigen 2. Februar hat sich der entscheidende Sieg der Sowjetarmee über Hitlers Truppen in Stalingrad zum 80. Mal gejährt. Die Schlacht von 1942 bis 1943 gilt gemeinhin als Wendepunkt im zweiten Weltkrieg. Kommentatoren erörtern, wie der vor allem in Russland wichtige historische Gedenktag angesichts des Krieges gegen die Ukraine vom Kreml neu bewertet und verwertet wird.

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La Stampa (IT) /

Der Kremlchef als "Vater der Völker"

Putin identifiziert sich unverhohlen mit Stalin, bemerkt Russland-Expertin Anna Zafesova in La Stampa:

„In Wolgograd ersteht die Sowjetunion für zwei Tage wieder auf. Die Stadtverwaltung ändert die Beschilderung der Stadt in die des alten Namens Stalingrad, während der 'Vater der Völker' von Plakaten und Wandmalereien lächelt und eine Büste von ihm in einer Flamme aus roten Nelken auf der Heldenallee enthüllt wird. ... Die Stadt an der Wolga soll wieder zu Stalingrad werden, und der Präsident, der sie besucht, muss sich in diesen Kontext einfügen. Er schlüpft in die Rolle, die ihm von seinem furchterregenden Vorgänger auf den Leib zugeschnitten worden scheint.“

Deník N (CZ) /

Neue Bedeutung durch Ukraine-Invasion

Die Feierlichkeiten wurden vom Kreml als Werbung für den Krieg genutzt, beobachtet Deník N:

„Die derzeitigen russischen Militärführer und Präsident Putin versuchen, die verschiedenen teils wahren, teils von der Propaganda fabrizierten Legenden, die die Schlacht von Stalingrad begleiteten, zu benutzen, die Öffentlichkeit zu einer größeren Entschlossenheit zu mobilisieren. Zu mehr Entschlossenheit, sich im Namen der 'Verteidigung des Landes' gegen 'europäischen und ukrainischen Faschismus, dekadente Lebensweisen und perverse Werte' zu opfern. Deshalb haben die Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Kapitulation der deutschen Besatzungsmacht angesichts des Krieges um die Ukraine eine neue Bedeutung.“

Echo (RU) /

Reiner Etikettenschwindel

Heute ist mitnichten mit 1943 vergleichbar, kritisiert Historiker Valeri Solowej in einem von Echo übernommenen Telegram-Post:

„Putins historische Analogien hinken auf beiden Beinen. Die Sowjetunion war in der Tat Opfer einer Aggression von außen, und der gerechte und defensive Charakter des Großen Vaterländischen Krieges wird von keinem vernünftigen Menschen weltweit, auch nicht im Westen, in Frage gestellt. Weder die Verbrechen der Sowjetführung an ihren eigenen Bürgern noch ihre aggressive imperiale Politik in den Vorkriegsjahren ändern daran etwas. Putins Russland hingegen hat vor einem Jahr selbst einen großen bewaffneten Konflikt ausgelöst. Und dass es andernfalls einen Tag oder eine Stunde später selbst angegriffen worden wäre, glauben selbst die Zuschauer der staatlichen Fernsehsender kaum noch.“

Wladislaw Inosemzew (RU) /

Ohne Ukrainer hätte die Rote Armee nicht gesiegt

Wirtschaftswissenschaftler Wladislaw Inosemzew erinnert auf Facebook an den Anteil ukrainischer Soldaten am Sieg von Stalingrad:

„Heute assoziieren viele - zu viele - Russen die Ukrainer mit Banderisten und Nationalisten. Hätten jedoch vor 80 Jahren nicht fast 300.000 Söhne und Töchter des ukrainischen Volkes an den Ufern von Wolga und Don ihr Leben gelassen, wäre jener Sieg, der, wie es in einem Lied heißt, 'einer für alle' war, vielleicht nicht errungen worden. Und auch wenn es jetzt nicht angebracht sein mag, darüber zu sprechen: Das Gedenken an die Taten aller sowjetischer Helden wird die Jahrhunderte überdauern - und erst recht all die gegenwärtigen Herrscher.“