Polnische Grenzkontrollen: Wohin führt das?

Polen hat am Montag mit stichprobenartigen Kontrollen an seinen Grenzen zu Deutschland und Litauen begonnen, um irreguläre Migration einzudämmen. Sie sollen vor allem Fahrzeuge mit mehreren Insassen betreffen. Der polnische Innenminister Tomasz Siemoniak erklärte allerdings seine Bereitschaft, auf die Überprüfungen zu verzichten, wenn Deutschland seine Kontrollen aufhebe. Kommentatoren debattieren Motive und Folgen.

Alle Zitate öffnen/schließen
Frankfurter Rundschau (DE) /

Freiheit nicht aufs Spiel setzen

Die Frankfurter Rundschau befürchtet gravierende Folgen:

„Ganz praktisch haben Menschen in den grenznahen Gebieten mit enormen Einschränkungen zu rechnen. Dazu kommt der laxe Umgang mit dem Europarecht, den Angela Merkel zu Recht anprangert, während ihr Nach-Nachfolger Friedrich Merz ihn munter vorantreibt. ... Schutzsuchende laufen Gefahr, im Niemandsland zu enden, wenn weder Deutschland noch Polen bereit sind, sie aufzunehmen. ... Daher muss es der erste Schritt sein, dass deutsche und polnische Behörden die Kontrollen wenigstens zusammen vornehmen. Der wichtigere nächste Schritt muss aber dahin führen, dass die Kontrollen abgeschafft werden. Sie sind rechtlich und politisch auf Dauer untragbar ... . Die Freiheit, die Europa sich mühsam erarbeitet hat, darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Hoffnung auf positiven Dominoeffekt

Die Neue Zürcher Zeitung sieht in den Kontrollen eine Chance für ganz Europa:

„Sollten nun weitere Staaten nachziehen und ebenfalls an der Grenze zu Deutschland kontrollieren, stiege auf alle EU-Mitgliedstaaten der Druck, die europäischen Aussengrenzen fortan wirksam zu sichern: Denn an einem innereuropäischen Migrations-Pingpong hat niemand Interesse. Erst dann wäre nach Jahren der weithin offenen Grenzen eine uneingeschränkte Freizügigkeit im Inneren wieder möglich. Der vielgefürchtete Dominoeffekt, der jetzt möglicherweise einsetzt, könnte ganz Europa nützen.“

Der Standard (AT) /

Tusk handelt unter großem Druck

Der Standard hat Verständnis für die Haltung der polnischen Regierung:

„Der liberale polnische Premier Donald Tusk ist als ehemaliger EU-Ratspräsident im Ausverhandeln gemeinsamer Wege geübt wie kaum ein anderer. Doch nun sagt sogar er: 'Die Zeit ist endgültig vorbei, in der Polen nicht angemessen auf bestimmte Maßnahmen reagiert.' Es sind Worte, die nicht überraschen, die man aber so kaum kennt von Tusk. Sie zeigen, wie sehr er in Polen unter Druck der nationalkonservativen, Deutschland- und EU-feindlichen Opposition sowie selbsternannter Grenz-'Bürgerwehren' steht. Und sie zeigen, wie groß der Kollateralschaden des Dominoeffekts sein kann, mit dem Berlin den Migrationsdruck eigentlich an die Außengrenzen verlagern will.“

Interia (PL) /

Ein innenpolitisches Spektakel

Das Onlineportal Interia hält die neuen Grenzkontrollen für ein innenpolitisch motiviertes Spektakel:

„Da die Regierung von Donald Tusk nach der Wahlniederlage eindeutig geschwächt ist, schlagen die PiS-Politiker auf sie ein wie auf eine Trommel. ... Genau aus dem gleichen Grund, nämlich der eigenen Schwäche, muss die Tusk-Regierung etwas unternehmen. Deshalb hat sie großspurig die Einführung von Kontrollen auf polnischer Seite angekündigt. Die Worte von Außenminister Sikorski bahnen den Weg, ein Problem zu lösen, das es nicht gibt. Im Dienste des Machtkampfs, der sich tatsächlich abspielt.“

Süddeutsche Zeitung (DE) /

Schengen-Idee geopfert

Die Süddeutsche Zeitung kritisiert:

„Eine alberne Trotzreaktion – auf ein ebenso albernes deutsches Grenztheater. Beide Regierungen gemeinsam haben die Reisefreiheit im Schengen-Raum geopfert – weil sie sich von den Rechtsextremen und Rechtsnationalen in ihrem Land vor sich hertreiben lassen, statt an echten Lösungen zu arbeiten. ... Mit ihrer Angst vorm jeweiligen innenpolitischen Gegner, dem ständigen Schielen auf die nächsten Umfragen haben beide Regierungen die europäische Idee des Schengen-Raums, dem Polen Ende 2007 beitrat, buchstäblich an seine Grenzen gebracht.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Ohne Checkpoints keine Freiheit

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung applaudiert:

„Man sollte ... nicht so tun, als bräche jetzt Europa zusammen. Das Ziel ist nicht die Reisefreiheit, sondern die illegale Einwanderung zu bekämpfen. Dass das auch zu Verzögerungen für Touristen und Pendler führen kann, ist klar. Doch zum Einen ist das nichts Neues, sondern etwa im Fall von grenzüberschreitenden sportlichen Großereignissen bekannt. Zum anderen sollten die Staaten ein Interesse daran haben, die Kontrollen so zu gestalten, dass sie wirksam sind. ... Und das Gerede, lückenlose Kontrollen gebe es nicht, darf nicht dazu führen, dass bestimmte Übergänge geradezu offiziell ohne jede Kontrolle bleiben. Wenn alle aufwachen, kann auch der Geist von Schengen wieder ungestört walten.“

wPolityce.pl (PL) /

Tusks Politik geht auf Kosten Polens

Der polnische Premier trage erheblich dazu bei, sein Land zu schwächen, rügt das Onlineportal wPolityce.pl:

„Deutschland wälzt das Migrationsproblem auf uns ab. Sie brauchten dazu einen so nützlichen Ministerpräsidenten, der kleinlaut Befehle von außen befolgt. Und dies ist nicht der einzige Bereich, in dem Polen geschwächt wird. ... Genau das Gleiche spielt sich in den Bereichen Verteidigung, Wirtschaft, Industrie, Verkehr und internationale Politik ab. Es läuft alles auf ein Ergebnis hinaus: In nur eineinhalb Jahren hat Donald Tusk die polnische Wettbewerbsfähigkeit, seine Unabhängigkeit, zunichte gemacht. So werden Länder erobert, ohne dass ein einziger Schuss fällt. Jetzt ist wirklich der letzte Moment, diesen Wahnsinn zu stoppen.“

Der Tagesspiegel (DE) /

Gemeinsam ginge es besser

Statt einseitig zu agieren, sollten Warschau und Berlin kooperieren, findet der Tagesspiegel:

„Polen [wünscht sich] schon länger die Unterstützung von Deutschland beim Ziel, seine östliche Grenze gegen irreguläre Migration zu schützen. Die ist zugleich eine EU-Außengrenze. Russland und Belarus organisieren irreguläre Migration via Polens Ostgrenze, um die EU zu schwächen. Deshalb sollten sich Merz und Tusk sowie ihre Innenminister zusammensetzen. Warum nicht dreierlei: gemeinsame Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze, eine gemeinsame Stärkung von Polens Ostgrenze und gegenseitige Hilfe zur Beschleunigung der Asyl- und Abschiebeverfahren?“