IT-Manager verliert Job wegen Kiss-Cam: Richtig so?

Bei einem Coldplay-Konzert in Boston hat die sogenannte Kiss Cam ein Paar auf die Bühnenleinwand projiziert, das lieber nicht gesehen werden wollte. Statt sich zu küssen, duckten sich die beiden weg. Das Video ging viral und die Identität der beiden wurde schnell bekannt. Der Manager eines IT-Unternehmens, der mit einer seiner Angestellten auf dem Konzert war, verlor seinen Job. Nachdenkliche Kommentare in Europas Presse.

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Dagens Nyheter (SE) /

Jeder könnte am globalen Pranger landen

Dagens Nyheter erfüllt der Fall mit Unbehagen:

„Er zeigt, dass niemand sicher ist. Jeder, der in einem peinlichen Moment erwischt wird, kann der ganzen Welt zur Unterhaltung dienen. Wollen wir das so? Ist uns bewusst, dass wir, allein vor unseren Handys sitzend, Teil einer kollektiven Hetzjagd werden? Wer sich an der Verbreitung des Clips beteiligt, trägt dazu bei, die Überwachungsgesellschaft zu festigen und aufrechtzuerhalten. An den Pranger des globalen Dorfplatzes gestellt zu werden – ist das nicht eine unverhältnismäßig harte Strafe für die zwei Betroffenen? Bleibt einem das Lachen da nicht ein wenig im Halse stecken?“

Viktor Schenderowitsch (RU) /

Ekelerregende Sittenkontrolle

Publizist Viktor Schenderowitsch beklagt auf Facebook ein Übermaß an prüder Heuchelei – nun auch noch gepaart mit digitaler Überwachung:

„Es ist beschämend (und dumm), einen Mann zu entlassen, nicht weil er seiner Position nicht gewachsen wäre, sondern weil er die Frau umarmte, die er umarmen wollte – und nicht jene, die er aufgrund der [wie zu Sowjetzeiten] von der Betriebsgewerkschaft erstellten 'Verhaltens- und Verantwortungsstandards' hätte umarmen dürfen. Da wird mir richtig übel. All dies ist natürlich Kleinkram vor dem Hintergrund der derzeitigen weltweiten Heuchelei in viel ernsteren Dingen, aber halt doch echt eklig. ... Und zudem: Genossen, gewöhnt Euch an das digitale Umerziehungslager!“

Bálint Kovács (HU) /

Worum es hier eigentlich geht

Nicht das Fremdgehen ist hier kritikwürdig, findet Bálint Kovács, Buchautor zum Thema sexuelle Belästigung, auf Facebook:

„Das einzige wirkliche Problem hier ist, dass der Chef eine intime Beziehung zu seiner Untergebenen pflegt. Bei Unternehmen, die sich halbwegs ernst nehmen, ist das verboten. Und nicht, weil es sich dann automatisch um eine ungleiche Beziehung handeln müsste, bei der eine in der Hierarchie höher stehende Person die niedriger stehende ausnutzt, sondern damit dieser Verdacht gar nicht erst aufkommen kann. ... Man sollte hier nicht über das Privatleben anderer Menschen reden, sondern über die Probleme der Verhältnisse zwischen Chef und Untergebenen. Allerdings ist das eben nicht so leicht, wenn man nur ein paar unüberlegte, spöttische Worte schreibt.“