Provoziert Athen den "Graccident"?

Trotz der Einigung mit den Gläubigern hat die griechische Regierung die Rückzahlung von Staatsanleihen infrage gestellt und erneut einen Schuldenschnitt ins Spiel gebracht. Einige Kommentatoren fürchten, dass Athen mit seiner verantwortungslosen Haltung den Rauswurf aus der Eurozone provoziert. Andere sind der Meinung, dass Athen einfach ziemlich gut verhandelt.

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Proto Thema (GR) /

Vorsicht vor dem "Graccident"

Die Wortschöpfung "Graccident" bezeichnet einen Euro-Austritt Griechenlands aus unvorhersehbaren politischen Gründen. Der Journalist Vasilis Stefanikidis warnt in der Onlineausgabe der liberalen Wochenzeitung Proto Thema vor einer Entwicklung, die mit einem "Graccident" enden könnte: "Wenn die Regierung die Vertreter der Gläubiger nicht überzeugen kann, dass sie zur Umsetzung von Reformen in der Lage ist, die sofort Geld in die Kassen spülen, dann fürchte ich, dass es zu einem 'Graccident' kommt. ... Die politischen Entscheidungen, die getroffen werden, sind gut und legitim, doch es steht zu vermuten, dass die Geduld der Gläubiger bereits erschöpft ist. Sie sind müde, nur Theorien zu hören und Gesetzesentwürfe zu sehen, die kein Geld in die Kassen bringen, sondern sogar Geld kosten."

eldiario.es (ES) /

Mehr Mut als Madrid und Lissabon

Anstatt die griechische Regierung zu beschimpfen, sollten sich Portugal und Spanien lieber ein Beispiel an der erfolgreichen Verhandlungstaktik Athens nehmen, fordert das linke Onlineportal eldiario.es: "Es ist offensichtlich, dass die neue griechische Regierung nicht das erreicht hat, was sie sich vorgenommen hatte. Aber es ist ebenso offensichtlich, dass sie bessere Bedingungen ausgehandelt hat, um die Politik zumindest ein bisschen weniger ungerecht zu machen. Unseren unersättlichen Herren und ihren Politikern mag das wie eine lächerliche Kleinigkeit erscheinen, aber in der Praxis bedeutet es für viele Menschen nichts anderes als Essen, ein Dach über dem Kopf, Gesundheitsversorgung und Bildung. So einfach ist das. Warum folgen die portugiesische und spanische Regierung diesem Beispiel nicht, obwohl ein Großteil der Bevölkerung Not leidet? Warum torpedieren sie stattdessen die Verhandlungen der Griechen?"

Süddeutsche Zeitung (DE) /

Athen nimmt Selbstisolation nicht wahr

Griechenland tut nach wie vor alles, um die Länder der Eurogruppe zu verprellen, kritisiert die linksliberale Süddeutsche Zeitung und hält einen Grexit weniger aus wirtschaftlichen sondern vielmehr aus politischen Gründen für denkbar: "Die Eurogruppe steht so geschlossen wie nie zuvor gegen die neue griechische Regierung, die ihre Selbstisolation nicht wahrnimmt. Der Ausbruch gegen die Südländer hat gezeigt, dass Griechenlands Euro-Ende inzwischen keinem ökonomischen Kalkül mehr unterliegt - die Ansteckungsgefahr ist gering, die Kollateralschäden sind vermutlich beherrschbar. Griechenlands Zukunft wird politisch entschieden. Es gilt eine simple Gleichung: Athen kann keine Hilfe mehr erwarten, wenn der dafür zu zahlende politische Preis für die anderen Euro-Staaten untragbar hoch wird. Wenn Griechenland das Wohlwollen der EU-Partnerregierungen derart strapaziert, dass dabei lediglich ein Front National oder eine Alternative für Deutschland oder eine Podemos-Bewegung gestärkt würden, dann ist die Freundschaft beendet."

Jyllands-Posten (DK) /

Griechische Regierung benimmt sich unreif

Bei den Verhandlungen um die Hilfsmaßnahmen hat sich die griechische Regierung nach Meinung der liberal-konservativen Tageszeitung Jyllands-Posten wenig diplomatisch verhalten, indem sie sich gegen ernsthafte Reformen gesträubt hat. "Gerechterweise muss gesagt werden, dass die verantwortungslose Politik in Griechenland nicht nur von Premier Tsipras und Finanzminister Varoufakis betrieben wird. Sowohl sozialdemokratische als auch bürgerliche Vorgängerregierungen sind schuld an einer skandalösen Regierungsführung. ... Aber Tsipras und Varoufakis haben diesen Wahnsinn weiterentwickelt. Griechenland ist nicht das einzige EU-Mitglied in Schwierigkeiten. Aber im Großen und Ganzen haben alle anderen Länder - von Irland über Portugal bis hin zum Baltikum - sich darauf konzentriert, das eigene Haus in Ordnung zu bringen, effektiv und würdevoll. Athen ließ eine solche Einstellung vermissen - dabei wäre sie das Mindeste gewesen, was man in guter Gesellschaft erwarten kann."