Wie steht Europa nach der Pisa-Studie da?

Nach der Veröffentlichung der diesjährigen Pisa-Ergebnisse werden europaweit Verbesserungsvorschläge für die Schulsysteme diskutiert. Einige Kommentatoren machen die soziale Ungleichheit für die teils schlechten Ergebnisse verantwortlich. Nur aus einem Land kommen zufriedene Stimmen.

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Eesti Päevaleht (EE) /

Tolles Ergebnis für estnische Schüler

Die estnischen Schüler landen weltweit auf Platz drei in der Pisa-Studie und haben europaweit am besten abgeschnitten. Eesti Päevaleht freut sich über das Ergebnis, sieht aber auch noch Verbesserungsbedarf:

„Die stärksten Teile des estnischen Schulsystems könnten ein Exportartikel werden. Bei aller Freude sollten wir aber die Realität nicht vergessen. Wir müssen uns fragen, warum der Schulstress und die Unzufriedenheit der Schüler relativ groß ist. Ist das die unvermeidliche Folge des Erfolgs? Wenn das so ist, dann müssten wir uns fragen, was wichtiger ist und wie man die Balance finden kann. ... Und nicht zuletzt: Sollte sich die gute Bildung nicht mehr als bisher auch im Wirtschaftswachstum widerspielen?“

Karjalainen (FI) /

Leistungen in Finnland klaffen auseinander

Stärker als bisher wirkten sich in der Pisa-Studie der Wohnort und der familiäre Hintergrund auf das Ergebnis in Finnland aus. Karjalainen fürchtet eine Spaltung des Landes:

„Die regionalen Unterschiede haben zugenommen. Die Ergebnisse der Schulen in der Hauptstadtregion waren deutlich besser als im Rest des Landes. Der Unterschied zwischen Mäddchen und Jungen ist groß. Dank der Mädchen schnitt Finnland auch jetzt gut ab. Bei den Jungen scheint jedoch ein deutlich größerer Teil als bei den Mädchen hinten runterzufallen. Auch der familiäre Hintergrund spiegelt sich in den Ergebnissen stärker wider als in der Vergangenheit. Aus irgendeinem Grund kann die Schule nicht mehr so wie bisher die sozioökonomischen Unterschiede ausgleichen. Die jüngste Pisa-Studie zeigt ein differenziertes Finnland. Falls dies zum Trend wird, ist Finnland regional und sozioökonomisch bald ein stark gespaltenes Land, weit entfernt vom jetzigen Idealzustand.“

Le Soir (BE) /

In Wallonien wird zu stark separiert

Bei der Pisa-Studie haben die wallonischen Schüler deutlich schlechter abgeschnitten als die flämischen. Den Grund dafür erklärt Le Soir:

„In unserer Region gibt es eine immer größere Kluft. Auf der einen Seite die Elite, bei der der Fernseher abends aus bleibt. Und auf der anderen Seite ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung, für den es hart, sehr hart ist. ... Familien, denen es an Geld mangelt. Bei denen es keine Bücher gibt. Bei denen Informationen Platz für Unterhaltung gemacht haben. Dass unsere Ergebnisse so schwach sind, liegt daran, dass unser Schulsystem zumindest eines gut kann: trennen. Die Starken zu den Starken. Die Schwachen zu den Schwachen. Erstere stimulieren einander. Die anderen gehen zusammen unter. Den Schwachen, die in wenig renommierten Schulen geparkt wurden, wird kein anderes Modell angeboten als ihr eigenes. Dort gibt es keine starken Schüler, die die schwächeren nach oben ziehen könnten.“

24 Chasa (BG) /

Bulgariens Schulen zu theorielastig

Bulgariens Schüler landeten in der Pisa-Studie auf Platz 45 und gehören damit zu den Schlusslichtern in der EU. Die Tageszeitung 24 Chasa nimmt die Schüler in Schutz und zählt die Mängel im Schulsystem auf:

„Erstens sind unsere Schüler nicht ausreichend auf solche Tests vorbereitet. Um den Pisa-Test zu bestehen, muss man vorher üben, denn ein gutes Ergebnis fällt nicht vom Himmel. Zweitens evaluiert der Pisa-Test die Fähigkeit der Schüler zur praktischen Anwendung des Unterrichtsstoffs im Alltag, doch genau an diesem Punkt hakt es in Bulgarien seit jeher. Das bulgarische Schulsystem setzt hauptsächlich auf die Theorie und so kommt es, dass die meisten Schüler selbst mit einfachsten Praxisaufgaben überfordert sind.“

Le Figaro (FR) /

Frankreichs Bildungspolitik hat versagt

Als fünftgrößte Wirtschaftsnation ist Frankreich bei der Pisa-Studie erneut nur im Mittelfeld gelandet. Ein klarer Beleg für das Scheitern der Bildungspolitik der linken Regierung, poltert Le Figaro:

„Frankreich hebt sich in diesem globalen Ranking gerade durch seine Fähigkeit ab, soziale Ungleichheiten zu reproduzieren! Klasse Leistung! Die internationalen Forscher haben nun schwarz auf weiß dargelegt, dass die Länder, die sich für eine Exzellenzförderung entschieden haben, auch die sind, die die Problemschüler am besten unterstützen konnten. Darüber hinaus haben sie einige Gemeinsamkeiten der leistungsstärksten Bildungssysteme aufgelistet, wie die Wertschätzung der Arbeit in den Schulen sowie der Lehrer. Indem man also Noten [in der Grundschule] und das Nachsitzen abschafft, genauso wie zusätzliche Fremdsprachen und Latein, kann man also weder Schulabbruch bekämpfen noch die Chancengleichheit wiederherstellen? Bedurfte es wirklich einer globalen Studie, um uns davon zu überzeugen?“

Deutschlandfunk (DE) /

Deutschland braucht mehr und bessere Lehrer

Deutsche Schüler haben sich in der Pisa-Studie in diesem Jahr nicht verbessert. Nach sechs Pisa-Durchläufen muss die Politik endlich Reformen umsetzen, fordert der Deutschlandfunk:

„Internationale Vergleiche sind ja interessant und wichtig, keine Frage. Aber, vergleichen allein hilft nicht weiter, das sehen wir ja jetzt. Wer ernsthaft besser werden will, muss - bei all dem Aufwand - auch dafür sorgen, dass Konsequenzen spürbar werden im Unterricht oder bei den schulischen Rahmenbedingungen. ... Wir erleben: Fach-Lehrermangel, Unterrichtsausfall, die Zusammenlegungen von naturwissenschaftlichen Fächern, ein sinkendes Interesse an Naturwissenschaften und Technik bei Schülerinnen und Schülern. Und in der Lehrerausbildung an den Universitäten ist die Fachdidaktik nach wie vor ein kleines, zartes Pflänzchen. Sie muss unbedingt gestärkt werden. Wenn wir keine gut ausgebildeten Lehrkräfte haben, die ihr Fach auch gut vermitteln können, dann bekommen wir auch keinen besseren Unterricht.“

Aftonbladet (SE) /

Noch immer kein Grund zur Freude in Schweden

Schweden liegt bei der Pisa-Studie zwar wieder über dem Durchschnitt der OECD-Staaten, doch für Aftonbladet ist es zu früh, die Korken knallen zu lassen:

„Es gibt nicht nur gute Ergebnisse. Die Kluft innerhalb der schwedischen Schulen hat sich vertieft. Vor gut 15 Jahren konnte Schweden stolz ein Schulsystem mit weitestgehender Chancengleichheit präsentieren. Ungeachtet ihres sozialen Hintergrunds wurden die Kinder gleichwertig gebildet. So ist es nicht mehr, jetzt liegen wir hier nur im Mittelfeld. Und auch die Unterschiede zwischen Kindern mit einheimischem und ausländischem Hintergrund sind in Schweden größer als in anderen Ländern. ... Chile hat gerade beschlossen, Gewinnerzielung mit Schulen zu verbieten, weil das auf lange Sicht die Gesellschaft schädigt. Autos zu bauen, ist nicht dasselbe wie, Mitbürger zu bilden. ... Wir sind die einzigen in der Welt, deren Schulen derart stark vom Markt gesteuert sind.“