Labour stellt Wahlprogramm vor

Unter dem Titel For the many, not the few verspricht die britische Labour-Partei in ihrem Wahlprogramm Reformen, die den Interessen der großen Masse dienen sollen. Neben dem Bau von Sozialwohnungen und einer höheren Unternehmenssteuer gehört auch die Verstaatlichung großer Dienstleister und der Bahn dazu. In der Presse stoßen die Vorschläge auf ein geteiltes Echo.

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The Irish Times (IE) /

Kontrapunkt zum Sparkonsens

Mit ihrem betont linken Wahlprogramm brechen Corbyn und die Labour-Partei endlich den öffentlichen Diskurs auf, freut sich The Irish Times:

„Obwohl die Ungleichheit in der Gesellschaft immer obszönere Ausmaße annahm, blieb die Ansicht, dass eine Regierung die Wohlhabenden besteuern könnte, um staatliche Leistungen zu finanzieren, in den vergangenen 20 Jahren vom öffentlichen Diskurs verbannt. Gleichermaßen wurde die Idee, private Unternehmen, die miserable aber immens wichtige öffentliche Versorgungsleistungen erbringen, wieder zu verstaatlichen, nicht einmal diskutiert. Dies betrifft etwa die Eisenbahnen oder die Wasser- und Energieversorgung. ... Es scheint immer mehr so, als wäre Parteichef Jeremy Corbyn die beste Hoffnung für das Überleben und Wiederaufleben der Labour Party. Denn er war es, der deutlich ausgesprochen hat, wie ein Gegenprogramm zur Sparpolitik aussehen könnte.“

The Daily Telegraph (GB) /

Weckruf für allzu siegessichere Tories

Dass die jüngsten positiven Umfragewerte für Labour die Tories und ihre Anhänger noch einmal so richtig motivieren werden, hofft The Daily Telegraph:

„Zum einen bewahrt dieser Trend die Funktionäre der Tories davor, in Selbstzufriedenheit zu verfallen. Zum anderen wird er all jene Unterstützer der Partei wachrütteln, die dachten, dass sie nicht zur Wahl gehen müssten, weil der Sieg ohnehin schon sicher sei. Trotz all der Auseinandersetzungen um einzelne politische Fragen geht es bei dieser Wahl letztlich um Führungsqualität: Wem traut das Wahlvolk zu, das Land als Regierungschef durch eine der wichtigsten politischen Perioden der jüngeren Vergangenheit zu führen? Theresa May hat immer wieder neu bewiesen, wie fähig sie ist und dass sie eine klare Agenda für die Brexit-Verhandlungen hat. Im Gegensatz dazu ist Jeremy Corbyn jemand, dem nicht einmal ein großer Teil der eigenen Unterhausabgeordneten vertraut.“

The Daily Telegraph (GB) /

Sozialistischer Irrweg

Mit diesem Programm verfehlt die Partei ihr Ziel, Verbesserungen für die große Masse der Bevölkerung durchzusetzen, schimpft The Daily Telegraph:

„Die Verstaatlichung der Wasserversorgung, der Eisenbahn und der Energieversorgung wäre nicht nur ungeheuer teuer, sie würde auch das Serviceangebot verschlechtern. Wie Bitteschön käme das der Masse zugute? ... Der volkswirtschaftliche Analphabetismus und die schlichte Inkohärenz des Wahlprogramms scheinen die Parteistrategen nicht zu kümmern. ... Der Programmtitel Der Masse und nicht den Wenigen dienen ist die völlige Antithese zu den wahren Überzeugungen des linken Parteiflügels. Dieser sieht in zentralstaatlich ausgeübter Gleichmacherei ein ideologisches Ziel, das der Masse durch die wenigen wahren Gläubigen aufgezwungen werden muss. Parteichef Jeremy Corbyn sprach von einem modernen Programm. Doch dieses ist so alt wie Das Kapital selbst.“

New Statesman (GB) /

Mehr Keynes als Marx

Den Vorwurf, dass Labour versuche, überkommene und radikal-linke Vorstellungen wiederzubeleben, hält New Statesman für zu weit her geholt:

„Die Vorschläge nehmen eher Anleihe beim keynesianischen Nachkriegs-Konsens als beim Kommunistischen Manifest. Das Wahlprogramm verspricht die Wiederverstaatlichung der Wasser- und Energieversorgung, der Post und der Eisenbahn sobald private Lizenzen auslaufen. Das stellt einen klaren Bruch mit der Politik der Ära Margaret Thatchers dar. Doch in vielen europäischen Ländern ist es nach wie vor die Norm, dass sich derartige Dienstleistungen in öffentlicher Hand befinden. Im Gegensatz zu den Sozialisten der Vergangenheit fordert Labour nicht, dass die 'Kommandohöhen der Wirtschaft' oder die 200 wichtigsten Unternehmen des Landes verstaatlicht werden, geschweige denn, dass privater Besitz verboten wird.“