Ratzinger irritiert mit Thesen zum Missbrauch

Joseph Ratzinger hat in einem Schreiben die Ideologie der 68er-Bewegung und staatlichen Sexualkundeunterricht für sexuellen Missbrauch verantwortlich gemacht. In der Amtszeit des emeritierten Papst Benedikt war bekannt geworden, dass weltweit massenweise Kinder von Geistlichen missbraucht worden waren. Warum äußert er sich jetzt zu diesem Thema?

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Deutschlandfunk (DE) /

Kampf um die Deutungshoheit

Welche Bedeutung es hat, dass sich Ratzinger aus dem Ruhestand zu Wort meldet, beleuchtet der Deutschlandfunk:

„Moment mal, ist der nicht zurückgetreten? Wollte er nicht beten und schweigen? Das hatte er versprochen. Aber er meldet sich häufig aus seinem römischen Kloster schweigend zu Wort. Franziskus-Verächter warten auf diese Lebenszeichen, denn in ihren Augen amtiert ihr Papa noch immer; da ist er nicht der Emeritus, sondern der Ewige. ... Der Papa emeritus vollbringt das Wunder, sein Schweigegelöbnis schreibend einzuhalten: Er schweigt dazu, was er selbst getan und unterlassen hat, als Joseph Ratzinger, als Erzbischof von München und Freising, als Präfekt der Glaubenskongregation, als Papst. ... Doch mit diesem Text wird Kirchenpolitik gemacht. Es ist ein Machtwort, ... gut platziert in einem Deutungskampf, in dem die Opfer sexualisierter Gewalt nicht interessieren.“

La Stampa (IT) /

Eine Waffe für Franziskus' Gegner

Nun wird es eng im Vatikan, glaubt Domenico Agasso Jr, der bei La Stampa das Portal Vatican Insider betreut:

„Bisher wurde das Gleichgewicht dank der zuvorkommenden Beziehung zwischen den beiden Päpsten und der Umsicht des Emeritus aufrechterhalten. Doch jetzt wird die Präsenz zweier Päpste schwer auf dem Heiligen Stuhl lasten. ... Was die Situation verschlimmert, ist das Thema, das für das Pontifikat von Bergoglio und für die ganze Kirche entscheidend ist. Die Anschuldigung ist eindeutig: Der [zurückgetretene] Papst greift mit einem Text ein, der 'eine pastorale und theologische Linie parallel zur Linie des Papstes' darstellen kann, und eignet sich daher als Waffe für die Gegner von Papst Franziskus.“

Večernji list (HR) /

Eigentlich weiß er es besser

Die Anschuldigungen des Ex-Papstes hält Večernji list für schlichtweg absurd:

„Ratzinger vertritt die These, dass die Schwulenkultur verantwortlich ist für Pädophilie in der Kirche und den Glaubensverlust der Öffentlichkeit. Dies stimmt natürlich nicht. Genauso wie es nicht stimmt, dass die sexuelle Revolution von 1968 die Legalisierung der Pädophilie vertrat. ... Gerade Ratzinger schrieb in seinem Brief an irische Katholiken, dass der Kongress der spanischen Bischöfe in Elvira im Jahre 306 Kindesmissbrauch verurteilte und den Tätern die Kommunion verweigerte. Also gab es Pädophile schon vor 1968, dessen ist sich auch Ratzinger bewusst. Diesen Text werden auf jeden Fall alle Gegner von Papst Franziskus auszunutzen wissen.“