Neue Nawalny-Proteste

Zehntausende Menschen sind am Mittwoch auf die Straße gegangen, um Solidarität mit dem inhaftierten, schwer kranken Oppositionellen Alexej Nawalny zu zeigen. Nach Angaben von Human Rights Watch wurde diesmal weniger Gewalt gegen Demonstranten verübt. Kommentatoren treibt die Frage um, ob die Nawalny-Proteste vor dem Aus stehen.

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Projekt (RU) /

Die Masse ist viel zu duldsam

Projekt beklagt die politische Apathie in Russland:

„Wenn Lebensgefahr für den Oppositionsführer nicht Millionen erboster Menschen auf die Straße bringen kann (und auch nicht Korruption, unfaire Wahlen oder der Mief der Erstarrung) - was kann es dann? Was ist für uns heute ein absoluter, unbedingter Wert, den man unmöglich aufgeben darf? Was erlaubt die Gesellschaft der Staatsmacht nicht zu tun, indem sie diese Millionenproteste fürchten lässt? Gibt es für uns überhaupt irgendetwas Bedeutsames? Das ist eine schwierige, aber äußerst wichtige Frage, auf die die russische Gesellschaft eine Antwort formulieren sollte.“

Eesti Päevaleht (EE) /

Wie in der Breschnew-Ära

Ein Déjà-vu-Erlebnis teilt in Eesti Päevaleht Andrej Schumakow, Chefredakteur der russischen Ausgabe des Portals Delfi:

„Russland heute erinnert zunehmend die Sowjetunion der Stagnation unter Breschnew. Der Präsident hat ein eigenes Politbüro, das sich von dem sowjetischen nur wenig unterscheidet. Ein kleiner Kreis, dessen Botschaften an die ganze Nation verschickt werden. Diesmal wurden sogar Riesenbildschirme auf Hochhäusern eingeschaltet. ... Nachdem der Nawalny-nahe Lokalpolitiker Ilja Jaschin am Mittwoch ein Foto von Spitzeln bei den Protesten gepostet hat, ist eine weitere Anekdote aus der Sowjetzeit wieder aktuell geworden: Ein Pessimist läuft auf der Straße - hinter ihm zwei Optimisten in Zivil...“

Die Presse (AT) /

Opposition muss sich neu ausrichten

Nawalny und sein Team sollten ihre Strategie überdenken, meint Die Presse:

„Nawalny hat viele Jahre lang die Lücken und Fehler im System Putin meisterhaft ausgenützt, um aller Repression zum Trotz Politik zu machen. Nun aber ist er krank im Straflager und seinen Anhängern drohen ebenfalls hohe Haftstrafen … Putins System lässt keine Alternativen zu. … Es gibt ein paar unangenehme Fragen, die sich Nawalnys Team stellen sollte. Ist es womöglich an der Zeit, an eine Strategieänderung zu denken? Auf einen moderateren Kurs umzuschwenken? Sich eine Ruhepause zu gönnen? Wer jetzt in Russland weiterkämpft, der ist entweder ein gerissener Irrer - oder ein kopfloser Held.“