Biden verteidigt Truppenabzug aus Afghanistan

In den USA wird die Kritik an Joe Biden nach den Ereignissen in Kabul immer lauter. Republikaner, aber auch vereinzelte Demokraten, werfen ihm ein unkoordiniertes Vorgehen vor. Der Abzug an sich wird aber selten infrage gestellt, was auch den Meinungsumfragen unter US-Bürgern entspricht. Werden die Bilder vom Kabuler Flughafen dem US-Präsidenten dauerhaft schaden?

Alle Zitate öffnen/schließen
Echo Moskwy (RU) /

Nur ein kleiner Imageschaden

Der in den USA und Russland tätige Ökonom Konstantin Sonin glaubt in Echo Moskwy nicht, dass das Afghanistan-Debakel nun Bidens Wahlchancen schmälert:

„Außenpolitik beeinflusst das Wahlverhalten in den USA wenig. Der Tod hunderter US-Marines im Libanon 1983 störte Reagans triumphale Wiederwahl nicht, Clinton wurde nach der gescheiterten Operation in Somalia wiedergewählt - und Bush jr., nachdem der Irak-Krieg unpopulär geworden war. Einzig das Image Bidens als ein für Schmerz und Leid empfindlicher Mensch wird verwischt.“

La Repubblica (IT) /

Lame duck im Weißen Haus

Biden wird seine Entscheidung teuer zu stehen kommen, wettert hingegen La Repubblica:

„Die Verantwortung für dieses Desaster trägt letztlich der Oberbefehlshaber, Präsident Joe Biden. … Er riskiert, für den Rest seiner Amtszeit eine 'lahme Ente' zu sein, auf Grund einer Entscheidung, die er im Alleingang getroffen und hartnäckig verteidigt hat, selbst als sich herausstellte, dass sie unüberlegt und unvorbereitet war.“

El País (ES) /

Unter den Demütigungen ganz vorne dabei

Auch El País glaubt, dass Biden in diesen Tagen viele Federn gelassen hat:

„Die Bilder von Hunderten von Menschen, die die Landebahn des Flughafens von Kabul stürmen, während Militärflugzeuge versuchen, das Land zu verlassen, werden das US-Militär noch lange verfolgen und einen Großteil der Präsidentschaft von Joe Biden prägen. Es sind Szenen der Verzweiflung, Momente, die die Welt nicht vergessen wird. Die chaotische Flucht aus Kabul in diesen Tagen hat nun ihren eigenen Platz in der Geschichte der militärischen Demütigung der USA.“

De Standaard (BE) /

Wird Kabul Bidens Saigon?

Auf Joe Biden warten nun harte Zeiten, ist sich auch De Standaard sicher:

„Die Republikaner werden keine Gelegenheit ungenutzt lassen, um Kabul 2021 mit Saigon 1975 zu vergleichen, und sogar in Bidens eigener Partei kam gestern Kritik auf. Es wäre falsch, Biden als Alleinverantwortlichen darzustellen. Sein Vorgänger Donald Trump traf die Entscheidung, den Krieg in Afghanistan schnell zu beenden. Aber die politische Verantwortung für das Chaos der vergangenen Tage liegt bei der heutigen amerikanischen Regierung. Eine erfolgreiche Umsetzung der Pläne im eigenen Land ist für Biden nun wichtiger als je zuvor. Wenn er da punkten kann, kann es sein, dass die Wähler die Kabul-Kapitel schnell schließen werden.“

Jyllands-Posten (DK) /

Vertrauen in die USA zerstört

Als erfahrener Außenpolitiker hätte Biden wissen müssen, was er tat, als er den Rückzug aus Afghanistan ankündigte, analysiert Jyllands-Posten:

„Seit seiner Vereidigung im Januar hat Joe Biden systematisch, Dekret für Dekret, die Entscheidungen seines Vorgängers rückgängig gemacht. Präsident Trump für den chaotischen Rückzug aus Afghanistan verantwortlich zu machen, ist nicht nur erbärmlich, sondern der Versuch, eine historische Lüge zu konstruieren. ... Was wir jetzt sehen, weckt nicht nur Erinnerungen an die letzten Tage des Vietnamkriegs, sondern ist Saigons Sturz auf Steroiden: Wer würde es dann noch wagen, einem amerikanischen Präsidenten zu trauen, wenn er die Bilder aus Kabul vor Augen hat?“