Pride Month in Europa: Paraden und Konflikte

Am 28. Juni 1969 wehrten sich Schwule, Lesben, trans Menschen und andere queere Personen zum ersten Mal gegen die wiederholten Razzien der New Yorker Polizei gegen ihre Community im Stonewall Inn in der Christopher Street. Es folgten weitere Proteste und Pride-Paraden gegen die Kriminalisierung von LGBTQI+. Inzwischen ist der Juni weltweit zum Pride Month avanciert. Ein Blick in die Presse zum Stand der Gleichstellung in Europa.

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El País (ES) /

Sichtbar würdigen, bitte

Dass Behörden den Pride Month öffentlich mittragen, ist für El País nicht verhandelbar:

„Während der Franco-Diktatur wurde auf Homosexuelle das Gesetz über Landstreicher und Gauner angewandt. Sie landeten oft in Gefängnissen, Konzentrationslagern und Irrenhäusern. Sie wurden gefoltert, gedemütigt, verurteilt. ... Das [im Februar verabschiedete] Transgender-Gesetz ist ein echter Schritt nach vorn. ... Die homosexuelle Gemeinschaft ist weiterhin in Gefahr. ... Das zeigt sich daran, dass einige spanische Behörden die Regenbogenflaggen abgehängt haben. ... Das ist eine gefährliche Geste. ... Die Gesetze haben LGBTIQ+ ins Licht treten lassen. Das brauchen auch andere Gruppen, die weiterhin unsichtbar sind. ... Der Kampf von LGBTIQ+ ist ein Vorbild.“

Dnevnik (SI) /

Pride ist wieder gefährlich geworden

Dnevnik ist besorgt über die zunehmende Gewalt gegenüber LGBTQ-Personen:

„Die letzte Ljubljana Pride Parade ist eine ernste Warnung. Aktivisten sagen, dass es noch nie so viel Gewalt gegeben habe wie in diesem Jahr. Berichten zufolge haben einige auf dem Heimweg sogar ihre Regenbogenfahnen versteckt. Dies geschieht in Ljubljana, wo in den 1980er Jahren die ersten Schwulen- und Lesbenclubs in Osteuropa gegründet wurden, zeitgleich mit der erstmaligen Teilnahme der Präsidentin des Landes an der Parade; die Sache schien so gut wie erledigt zu sein. ... Wenn man in den USA darauf gewartet hätte, dass sich langsam die richtige Atmosphäre entwickelt, mit der Absicht, die Bevölkerung nicht aufzuregen, gäbe es im Süden auch heute noch Rassentrennungsgesetze und Rassendiskriminierung.“

Star (TR) /

Antireligiöse Werte nicht länger dulden

Die regierungstreue Star findet die Gleichstellung sexueller Minderheiten und die dazugehörige Bildungsarbeit gefährlich:

„In den westlichen Ländern werden die Kinder bereits im Grundschulalter an diese Dinge herangeführt. In einer Kultur, in der sexuelle Erfahrungen bereits in einem sehr jungen Alter gemacht werden, werden die Kinder darüber informiert und dazu erzogen, dass alle Formen der Sexualität legitim seien und als solche angenommen werden könnten. ... Man kann nicht mehr 'er' oder 'sie' zu jemandem sagen, den man gerade erst kennen gelernt hat. ... Wir können nicht einfach nur unser eigenes Leben nach religiösen Argumenten organisieren und ansonsten abseits von alldem stehen. Wir müssen das bekämpfen.“

Artı Gerçek (TR) /

Propaganda ändert nichts an Tatsachen

In Istanbul wurde die Pride-Parade verboten. Eine Versammlung zahlreicher Menschen zu einer Trans-Pride-Parade auf dem zentralen Taksim-Platz am 18. Juni wurde von der Polizei aufgehalten. Artı Gerçek schimpft:

„Wir verstehen sehr gut, was das Problem des Staates und der AKP ist. ... Um die ganze Gesellschaft in eine spezifische heilige Familienfantasie zu pressen, werden sie versuchen, Homo- und Transphobie über alle Kanäle zu verbreiten. ... Das ist Wahnsinn! Es ist eine regelrechte Tyrannei. Es wird sicherlich der Gesellschaft schaden und viele Menschen zerstören. Aber es ist unwahrscheinlich, dass sowas Erfolg haben wird. Es gibt trans Menschen. Es gibt Homosexuelle. Es gibt LGBTI+. Kein heimtückischer Propagandamechanismus kann diese Tatsachen aus der Welt schaffen.“

Új Szó (SK) /

Hass soll von Verantwortung ablenken

Minderheiten werden einmal mehr als Sündenböcke missbraucht, konstatiert Új Szó:

„Je schlechter die wirtschaftlichen und allgemeinen Lebensbedingungen für 99 Prozent der Bevölkerung sind, desto klarer wird den herrschenden Politikern, Oligarchen und Konzernen, dass sie irgendwelche Sündenböcke brauchen, um die Aufmerksamkeit von ihrer Verantwortung für die sich verschlimmernde Lage abzulenken. Da kommen ihnen die verschiedenen Minderheiten gerade recht. Da im Juni die Regenbogenflagge vielerorts gesetzt wird, wird die rechtsextreme Maschinerie die LGBTQ-Personen noch stärker angreifen.“

Eesti Päevaleht (EE) /

Ehe für alle wird bald kein Aufreger mehr sein

Das estnische Parlament hat am Dienstag unter Protest der Opposition in einer Vertrauensabstimmung die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert. Für Eesti Päevaleht ein logischer Schritt:

„Die Verabschiedung des Gesetzes über die Ehe im Parlament ist zweifellos historisch. ... In Estland ist seit Jahren eine Koalition an der Macht, die sich als liberal bezeichnet. Es wäre für die Wähler unverständlich gewesen, wenn eine Regierung mit einem so klaren Mandat keinen progressiven Schritt unternommen hätte. Die Abstimmung erfolgte ohne Zwang, wie die Zahl der Mitglieder der Koalition zeigt, die sich enthalten haben. Das Beispiel Finnland zeigt, dass nach der Einführung der Gleichstellung der Ehe das Thema bald hinter uns liegen wird. Wir können uns auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist.“

Krytyka Polityczna (PL) /

Polen als Nächstes?

Nachdem Estland die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt hat, könnte Polen nach den Parlamentswahlen auch eine solche Entscheidung treffen, hofft Kulturanthropologin Katarzyna Przyborska auf Krytyka Polityczna:

„Am Sonntag zog eine prächtige Gleichstellungsparade durch die Straßen von Warschau, und die Stadt feierte bis zum Morgen. Man kann die Nachrichten aus Estland als gutes Zeichen werten, man kann sie als einen Wegweiser sehen. Die vereinten Kräfte von Liberalen und Sozialdemokraten haben die Chance, uns aus der Lage herauszuholen, in der wir uns unter der PiS-Regierung befinden. Ich hoffe, dass nach den Wahlen im Herbst die Gleichstellung der Ehe auch bei uns Realität wird.“

Rzeczpospolita (PL) /

Spaltender Wokeismus

Dass es zur diesjährigen Parade in Warschau Streit innerhalb der polnischen LGBTQI-Szene gab, findet Rzeczpospolita bezeichnend:

„Eine weitere Widersprüchlichkeit, die die diesjährige Parade prägte, betraf ein Phänomen, das mit Verspätung nach Polen gelangt ist. Ein großer Teil der Homosexuellen boykottierte die Veranstaltung aus Protest gegen die 'Vereinnahmung' durch Transsexuelle und Personen, die sich als nicht-binär identifizieren. Der Streit zwischen diesen beiden 'Untergruppen' der LGBT-Bewegung ist derzeit wohl die schärfste Front in der weltanschaulichen Auseinandersetzung im Westen. Er veranschaulicht perfekt, wie sich die Ideologie des woken, des 'wachen' Bewusstseins in den eigenen Schwanz beißt.“