Fecht-WM: Eklat um einen Handschlag

Sport im Schatten des Krieges: Die ukrainische Säbelfechterin Olha Charlan hat bei der Fecht-WM in Mailand der als neutrale Athletin startenden Russin Anna Smirnowa den nach dem Gefecht üblichen Händedruck verweigert und wurde disqualifiziert. Später ruderte der Fechtverband FIE zurück: Charlan wurde zum Mannschaftswettbewerb wieder zugelassen – und der Handschlag ist nun nicht mehr Pflicht.

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Der Standard (AT) /

Keine erzwungenen Friedensgesten

Bis Kriegsende sollten russische Sportler besser ausgeschlossen bleiben, findet Der Standard:

„Es ist eine moralisch unangenehme Frage, ob Athleten aus einem kriegsführenden Staat für den Irrsinn ihres Präsidenten bestraft werden sollen. Was kann denn Wassili Normalsportler, der sein ganzes Leben Olympia gewidmet hat, dafür? … Die 23-jährige Smirnowa fährt freilich keinen Panzer, aber auch sie posiert auf Instagram stolz mit ihrem in voller Armeemontur steckenden Bruder. Die Menschen in der Ukraine sind von diesem Krieg auf eine Art betroffen, die manch privilegierter Sportfunktionär nicht nachvollziehen kann – oder will, denkt man an [IOC-Chef Thomas] Bachs Russland-Nähe. Ukrainerinnen ins Duell mit Russinnen zu zwingen ist verwerflich. Sie dann zu Friedensgesten zu nötigen ist jenseitig.“

The Spectator (GB) /

Von wegen neutral

Der formal neutrale Status russischer Athleten ist für The Spectator Etikettenschwindel:

„Viele russische Sportler werden vom Verteidigungsministerium des Landes finanziell unterstützt, bekleiden militärische Dienstgrade oder fördern aktiv die Propaganda des Kreml. Unter einer neutralen Flagge anzutreten, bedeutet nicht Neutralität. Es gewährt lediglich Zugang zu einer Welt, die Russland seit der Invasion der Ukraine ausgeschlossen hat. ... Umgehungslösungen wie die neutrale Flagge müssen in einem größeren Zusammenhang gesehen werden. Schließlich ist Russland 2014 mit Truppen auf der Krim einmarschiert, die weder die Nationalflagge noch irgendeine andere Flagge trugen.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung (DE) /

Unsere Hand muss ausgestreckt bleiben

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung findet den ausgebliebenen Handschlag problematisch:

„Wer sich ... bereitfindet, mit einer russischen Gegnerin die Klinge zu kreuzen, und ihr ja dadurch schon Respekt erweist, wie jetzt bei der Fecht-WM, sollte auch die Größe zur üblichen abschließenden Handreichung haben. ... Zu erinnern ist aber auch daran, dass nicht jeder Russe mit Putin gleichzusetzen ist. Nicht nur, weil man irgendwann wieder miteinander umgehen muss, sondern weil wir auch im Angriffskrieg und vor dem Hintergrund des Mordens menschlich bleiben müssen. Die Ukraine lebt das auf dem Schlachtfeld vor: Gefangene werden in der Regel nach dem humanitären Völkerrecht behandelt. Gerade weil der Kreml sich nicht darum schert, muss unsere Hand jedem Menschen gegenüber ausgestreckt bleiben.“

Echo (RU) /

Beide haben Stärke gezeigt

Radiojournalistin Lisa Laserson zeigt in einem von Echo übernommenen Telegram-Post Verständnis für beide Athletinnen:

„Die Ukrainerin hielt statt des Handschlags den Säbel vor sich hin. Die Russin gab nicht auf und blieb, um auf den vorgesehenen Handschlag zu warten. ..... Man kann die Gefühle der Ukrainerin verstehen. Aber vielleicht gibt es hier noch einen anderen Faktor. Das Präsidium des ukrainischen Fechtverbandes verbot den Athleten 'jegliche Aktionen, die als Manifestation der Solidarität' mit den im neutralen Status antretenden Russen und Weißrussen wahrgenommen werden können. Eine unterlegene Russin, die eine Stunde lang die Hand zum Händedruck ausstreckt, ist sehr ausdrucksstark. Beide Athletinnen verdienen Mitgefühl.“