Ukraine: Was bringt der Wechsel an der Militärspitze?

Nach längeren Spekulationen ist es nun amtlich: Der ukrainische Präsident Selenskyj hat General Walerij Saluschnyj als Oberbefehlshaber der Streitkräfte abgesetzt. Nachfolger wird der bisherige Kommandant der Landstreitkräfte Oleksandr Syrskyj. Europas Presse hat ganz unterschiedliche Vorstellungen darüber, was von dem Wechsel zu erwarten ist.

Alle Zitate öffnen/schließen
Blick (CH) /

Der Neue muss jetzt liefern

Syrskyj soll das schaffen, was dem Vorgänger nicht gelungen ist, kommentiert Blick:

„Der Stillstand ist Realität. ... Den letzten grossen Durchbruch schafften die ukrainischen Soldaten im Herbst 2022 in der Region um die nordostukrainische Grossstadt Charkiw. Verantwortlich für den Überraschungserfolg damals: Heeresführer Alexander Sirski, den Selenski jetzt zum Oberbefehlshaber machte. Die Erwartungshaltung ist klar: Sirski soll das Wunder liefern, das Saluschni nicht liefern konnte. Ein enormer Druck lastet auf den Schultern des Mannes, der seine Militärausbildung 1982 an der sowjetischen Militärkommandoschule in Moskau abgeschlossen hatte. Er muss liefern, und zwar bald.“

The Economist (GB) /

Nicht länger von Rückeroberungen träumen

Jetzt wäre ein guter Moment, die Kriegsziele der Realität anzupassen, rät The Economist:

„Die wichtigste Frage ist, ob Selenskyj von der Entlassung von General Saluschnyj profitieren kann, um seine Vision für den Krieg neu auszurichten. Immer noch hält er öffentlich an seinem Versprechen fest, dass die Ukraine jeden Quadratzentimeter des von russischen Truppen besetzten Territoriums zurückerobern wird - wohl wissend, dass dies nicht so schnell oder gar nicht passieren wird. Es wäre wunderbar, wenn die ukrainischen Streitkräfte die russischen Invasoren vertreiben könnten. Sofern jedoch nicht eine völlig unerwartete Wendung eintritt, wird die Ukraine in einem Krieg, der über territoriale Gewinne definiert wird, nicht siegen können.“

Serhij Fursa (UA) /

Unvernünftig und illegitim

Den Ausschlag haben hier wohl persönliche und politische Animositäten gegeben, kritisiert Blogger Serhij Fursa auf Facebook:

„Das ist eine emotionale und keine rationale Entscheidung. Eine emotionale Entscheidung, die sich das Land nicht leisten kann. ... Selenskyj hat juristisch gesehen das Recht, Saluschnyj zu entlassen. ... Doch neben der Legalität gibt es auch noch den Begriff der Legitimität. Ist denn diese Entscheidung in den Augen der Gesellschaft legitim? Vor allem, wenn bekannt ist, dass diese Entscheidung ein Ergebnis politischer Eifersucht und nicht professioneller Differenzen ist?“

Delo (SI) /

Das wird nicht gut ankommen

Das ist eine heikle Personalie, konstatiert Delo:

„Trotz des versöhnlichen Abschieds könnte sich die Entlassung von Saluschnyi als eine der unbeliebtesten Entscheidungen Selenskyjis in den letzten zwei Jahren erweisen. Für viele Ukrainer ist der 'Eiserne General' ein Nationalheld, dessen Beliebtheit sowohl aus Meinungsumfragen als auch aus den Aussagen ukrainischer Soldaten hervorgeht, bei denen er offenbar großen Respekt genießt. Auch sein Nachfolger gilt als erfahrener Kommandeur, unter anderem aufgrund seiner Rolle bei der erfolgreichen Verteidigung Kyjiws zu Beginn des Krieges. Laut ukrainischen und westlichen Medienberichten wurde Generalleutnant Sirski jedoch in den letzten zwei Jahren wegen seiner mangelnden Sensibilität gegenüber Truppenverlusten kritisiert.“

Maksym Jali (UA) /

Vorsicht mit schnellem Wechsel in die Politik

Politologe Maksym Jali geht auf Facebook auf Spekulationen über politische Ambitionen Salunschnyjs ein:

„Das Interessanteste ist nun, ob sich die Gerüchte über seine Präsidentschaftsambitionen bestätigen. Und ob er sein eigenes politisches Projekt startet. Es wird viele geben, die ihn gerne als 'Parteichef' ausnutzen würden, um ihre Leute in die Werchowna Rada zu bringen. ... Ex-Präsident Poroschenko wird der erste in dieser Reihe sein. ... Wenn Saluschnyj ein vernünftiger Mensch ist, wird er zumindest eine Pause zum Nachdenken und Ausruhen nehmen. Andernfalls wird man sofort anfangen, ihn zu diskreditieren, und bis zu den Wahlen wird von seinem hohen Ansehen nichts mehr übrig sein.“