Georgien: Neuer Anlauf gegen "ausländische Agenten"

In Georgien verstärken sich die Massenproteste gegen die Annahme eines Gesetzes über "ausländische Agenten", das ausländisch finanzierte Institutionen brandmarken soll. Im März 2023 hatten Proteste gegen ein ähnliches Gesetzesvorhaben schließlich zu dessen Rücknahme geführt. Kommentatoren beleuchten die Hintergründe.

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Elvira Wicharewa (RU) /

Russland ist das erschreckende Vorbild

Die russische Oppositionspolitikerin Elvira Wicharewa erklärt auf Facebook die Brisanz der umstrittenen Gesetzesinitiative:

„Die regierende Partei 'Georgischer Traum' möchte, dass sich NGOs und Medien, die mehr als 20 Prozent ihrer Mittel aus dem Ausland erhalten, als 'ausländische Interessen vertretende Organisationen' registrieren. So der offizielle Wortlaut. ... Ist doch eine Kleinigkeit, nicht wahr? Aber wir erinnern uns noch bestens, wozu eine solche Kleinigkeit in unserem Land geführt hat. Die Georgier schauen über die Grenze und verstehen alles. Und natürlich gibt es in Georgien kaum Medien und NGOs ohne diese 20 Prozent. Das Land ist sehr arm, es lebt nur von Weltoffenheit und ausländischer Finanzierung, insbesondere im tertiären Sektor.“

Süddeutsche Zeitung (DE) /

Im Herbst hat das Volk die Wahl

Erst seit Dezember ist der Kaukasus-Staat EU-Beitrittskandidat, erinnert die Süddeutsche Zeitung:

„[D]och statt sich weiter anzunähern, entfernt er sich auch schon wieder. ... Zehntausende Menschen protestieren, weil sie ein geplantes Gesetz als Gefahr für den europäischen Kurs sehen. ... Skeptisch machen müssen auch die Worte des mächtigsten Mannes im Land. Bidsina Iwanischwili, Milliardär, ehemaliger Premier und Chef der Regierungspartei, hat jetzt massiv den Westen angegriffen. Dieser wolle Georgien wie die Ukraine als Kanonenfutter im Kampf gegen Russland missbrauchen. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Solche Worte verstärken eher den Eindruck einer autoritärer werdenden Führung, die sich des EU-Kurses nicht sicher ist. Sie hat die Wahl. Bei der Parlamentswahl im Herbst aber hat dies auch das georgische Volk.“

Ukrajinska Prawda (UA) /

Sogar Beziehungen zur EU werden aufs Spiel gesetzt

Die langjährige Regierungspartei Georgischer Traum steht unter Druck, analysiert Ukrajinska Prawda:

„Die gängigste Erklärung ist, dass das Gesetz, das die Kontrolle über den öffentlichen Sektor und unabhängige Medien ermöglicht, gebraucht wird, um sich den Sieg bei den Parlamentswahlen am 26. Oktober zu sichern. Zum ersten Mal werden diese Wahlen ohne Direktmandate abgehalten, bei denen die Regierungspartei immer gewonnen hatte. Deshalb wird der Wahlsieg für Georgischer Traum diesmal schwieriger als früher. ... Der Machterhalt (es sei daran erinnert, dass Georgischer Traum seit fast zwölf Jahren an der Macht ist) ist das wichtigste Ziel der Partei. Und dafür ist man bereit, sogar die Beziehungen zur EU zu opfern.“

Katerina Kotrikadze (RU) /

Am Anfang klingt alles ganz harmlos

Die im Exil lebende Doschd-Journalistin Katerina Kotrikadze warnt auf Facebook:

„Dank der russischen Erfahrungen verstehen die Menschen in Georgien sehr gut, wohin ein 'Gesetz über ausländische Agenten' führt und wozu es gebraucht wird. Lassen Sie mich kurz rekapitulieren: Die russische Staatsmacht hatte auch uns versprochen, dass nichts Schreckliches passieren würde, dass das Gesetz lediglich für 'Transparenz' sorge und niemand daran hindere, in Russland zu arbeiten oder zu leben. ... In Russland gibt es heute kein einziges großes unabhängiges Medium und keine einzige internationale Menschenrechtsorganisation mehr. Das war das Ziel der russischen Behörden, als sie behaupteten, das Gesetz über ausländische Agenten sei nur eine Kleinigkeit.“