Annäherung zwischen USA und Syrien: Eine Chance?

Auf seiner Reise durch die Golfregion hat Donald Trump erstmals den syrischen Übergangspräsidenten Ahmed al-Scharaa getroffen. Schon vor dem Gespräch, das im saudi-arabischen Riad stattfand, kündigte der US-Präsident die Aufhebung sämtlicher Sanktionen gegen Syrien an. Gleichzeitig drängt Washington Damaskus zur Annäherung an Israel. Europas Presse beleuchtet ganz unterschiedliche Folgen.

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The Economist (GB) /

Endlich fließt wieder Geld

Was diese Entscheidungen mittelfristig bewirken, erklärt The Economist:

„Sie werden den Zufluss von Geldern aus der Diaspora, aus den Golfstaaten und anderen Ländern ermöglichen. Durch die Wiederaufnahme in das Gironetz Swift können syrische Banken wieder Geschäfte mit ausländischen Finanzinstituten tätigen. Zudem wird Syrien in der Lage sein, Banknoten zu drucken und den chronischen Bargeldmangel zu beheben. Ausländische Unternehmen können endlich Angebote zum Wiederaufbau der syrischen Infrastruktur unterbreiten. Dennoch wird die Aufhebung des strengen Sanktionsregimes einige Zeit in Anspruch nehmen. ... Die Ankündigungen sind aber ein großer Erfolg für Sharaa.“

Tages-Anzeiger (CH) /

Gute Nachricht für das Volk – und die Region

Der Tages-Anzeiger begrüßt das Ende der Sanktionen, trafen sie doch vor allem das syrische Volk:

„Es ist eine gute Nachricht für den ganzen Nahen Osten. Die Sanktionen gegen Syrien wurden in den vergangenen Jahrzehnten gegen das Assad-Regime verhängt, dann aber einfach auf die neuen Machthaber übertragen, was ein ohnehin fragwürdiges Vorgehen ist. Vor allem aber trafen die Sanktionen unter al-Sharaa wie unter Assad insbesondere das Volk, das hungerte und keine Medikamente bekam.“

Die Welt (DE) /

Nicht alle Hebel aus der Hand geben

Die Welt hält das Tempo, mit dem der Westen die Beziehungen zu Syrien normalisiert, für überzogen:

„Tatsächlich mutet diese Eile naiv an. Schließlich haben islamistische Bewegungen, die an die Macht kamen, fast immer enttäuscht. ... Deshalb ist es wichtig, al-Scharaa nicht zu schnelle und nicht zu weitreichende Zugeständnisse zu machen. Damit der Westen noch Hebel in der Hand behält, mit denen das Regime im Zweifel gedrängt werden kann, einen moderaten Kurs beizubehalten. Zu oft hat sich gezeigt, was Islamisten anrichten, wenn der Westen seine Druckmittel aus der Hand gibt.“

La Stampa (IT) /

Eine weitere nützliche Diktatur

La Stampa ist entsetzt:

„Das Bild des ersten Dschihadisten, der in der guten Stube des Westens sein Debüt gibt, bestätigt eine unerträgliche Wahrheit, mit der wir uns nicht abfinden wollten: Wer gewinnt, hat immer Recht. Der Erfolg, die Eroberung des Palastes, löscht alle Fehler aus, selbst die schrecklichsten und theoretisch unverzeihlichen, die begangen wurden, um ihn zu erklimmen. ... Schließlich handelt es sich um eine weitere 'nützliche Diktatur' in einer endlos scheinenden Liste. Das Gipfeltreffen zwischen Trump und al-Dschaulani [der frühere Kampfname al-Scharaas] ist kein Detail einer Mission im Nahen Osten: Es ist das Foto einer Schande und Feigheit, das Bild des Abgrunds, in den wir mit unserer stotternden Arroganz und unseren Heucheleien hinabgestiegen sind.“

Tygodnik Powszechny (PL) /

Türkei und Saudi-Arabien streben nach mehr Einfluss

Für Tygodnik Powszechny ist auch bedeutsam, wer das Treffen eingefädelt hat:

„'Er muss eine Chance bekommen', sagte Trump, dessen halbstündiges Treffen mit dem syrischen Staatsoberhaupt von seinem saudischen Gastgeber, Kronprinz Mohammed bin Salman, arrangiert worden war und an dem dieser auch teilnahm. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan war ebenfalls per Telefon zugeschaltet. Die Türkei und Saudi-Arabien streben danach, zu den Großmächten des Nahen Ostens zu werden, und konkurrieren mit dem Iran, der sich bislang um Syrien kümmerte, um die Vormachtstellung.“

De Volkskrant (NL) /

Netanjahu ist der Verlierer

Der israelische Premier steht nun schwächer da, analysiert De Volkskrant:

„Israel hält al-Scharaa unvermindert für einen Dschihadisten und versucht, das Land durch Bombenanschläge und das Schüren sektiererischer Spannungen zu schwächen. Nun muss Netanjahu zähneknirschend zusehen, wie Trump eben diesen Mann rehabilitiert – ein Zeichen für die große Distanz zum israelischen Premier. In einigen wichtigen regionalen Themen (Iran, Syrien, die Huthis im Jemen) gehen Trump und er inzwischen völlig getrennte Wege. Und auch in Bezug auf den Gaza-Krieg gibt es Gerüchte, dass Trump von Netanjahus Kurs die Nase voll hat.“