Krieg in Gaza: Geht Israel zu weit?  

Am Freitag wurden Berichten zufolge neun von zehn Kindern einer Ärztin bei einem Luftangriff auf ihr Haus im Gazastreifen getötet. Israels hartes militärisches Vorgehen und die prekäre Versorgungslage stießen schon zuvor international immer mehr auf Kritik. So sagte Bundeskanzler Friedrich Merz, die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu ziehen, lasse sich nicht mehr mit einem Kampf gegen Terrorismus begründen. Europas Medien spiegeln den Stand des Diskurses.

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Der Standard (AT) /

Verschämtes Schweigen ist nicht angebracht

Der Standard appelliert daran, den Diskurs nicht aufzugeben:

„Man kann sich über Israel und Gaza nicht mehr unterhalten. Sofort gehen die Wogen hoch und die Meinung auseinander. Selbst im Freundeskreis, mit guten Bekannten, unter Kolleginnen und Kollegen kommt man rasch an den Punkt, wo eine normale Kommunikation, ein Austausch von Argumenten nicht mehr möglich ist. Wo der Ton gehässig wird. ... Also besser gar nichts sagen, den Mund halten? Das führt zu nichts. Es muss möglich sein, Kritik an der israelischen Regierung und ihrem Vorgehen in Gaza zu üben, die unverhältnismäßige Kriegsführung anzuprangern, ohne sich gegen Israel und erst recht nicht gegen das israelische Volk zu stellen.“

Times of Malta (MT) /

Der Widerstand muss lauter werden

Der frühere EU-Botschafter John Vassallo fordert in Times of Malta ein deutliches Signal des Westens:

„Malta bekundet zwar lautstark Unterstützung für die Palästinenser, aber unserem Premier fehlt der Mut, Palästina anzuerkennen und sich anderen EU-Ländern anzuschließen, die dies bereits getan haben. ... Warum unterstützen die Welt, Donald Trump und die EU Israel weiterhin? Warum schüttelt Deutschland nicht die Schuld seiner Großeltern ab und nimmt eine ähnliche Haltung wie Frankreich, Großbritannien, Irland und Spanien ein?“

Süddeutsche Zeitung (DE) /

Deutschlands moralischer Bankrott

Die Süddeutsche Zeitung sieht noch keinen grundlegenden Kurswechsel der deutschen Politik gegenüber Israel:

„[D]er Ton wird etwas nachdenklicher, das Bedauern größer – die Panzerteile sollen aber weiter geliefert werden. Es ist ein moralischer Bankrott, der in der Bevölkerung wahrscheinlich deutlicher gesehen wird als in Berlin. Deutschland war in der Welt mal ein Land, das für Humanität einstand, für das Völkerrecht und die Menschenrechte. Damit braucht es auf absehbare Zeit niemandem mehr zu kommen. Berlin liefert Waffen für einen Krieg, der kein Ende kennt. Der laut Netanjahu nicht enden soll. Die Bundesregierung folgt seinem Wunsch.“

Cyprus Mail (CY) /

Netanjahus destruktive Fantasie

Cyprus Mail verurteilt den Plan, die Palästinenser aus Gaza "umzusiedeln":

„Dies ist ein grausames Fantasiegebilde, keine Strategie. Ägypten wird die Grenze dicht machen und keine Palästinenser passieren lassen. ... Wenn Israel zwei Millionen Menschen dort länger festhält, wird die Zahl der Todesopfer durch Hunger und Krankheiten bald tausend pro Tag erreichen. Selbst die engsten Freunde und stärksten Unterstützer Israels werden rebellieren. Sie haben damit bereits begonnen: Frankreich, Großbritannien und Kanada haben das Verhalten Israels verurteilt und Sanktionen angedroht. Die EU ist dabei, ihr Freihandelsabkommen mit Israel zu ‘überprüfen‘. Selbst Donald Trump hat sich besorgt geäußert. Israel wird seinen Kurs ändern müssen, oder es wird zum internationalen Paria werden.“

Tygodnik Powszechny (PL) /

Ziel ist Umsiedlung oder gar Vertreibung

Der bekannte Reporter Dariusz Rosiak skizziert in Tygodnik Powszechny die Absichten der israelischen Führung:

„Das erklärte kurzfristige Ziel Israels besteht darin, die gesamte palästinensische Bevölkerung auf einem Stück Land im Süden der Zone anzusiedeln und die Verteilung der Hilfsgüter einer neu gegründeten, von den USA unterstützten Organisation zu übertragen. Unklar bleibt jedoch das langfristige Ziel. Die extremsten Minister sprechen davon, den Gazastreifen dauerhaft zu übernehmen und ihn mit Juden zu besiedeln.“

Kleine Zeitung (AT) /

Palästinenser sind selber kompromisslos

Die Kleine Zeitung entgegnet den Kritikern des Vorgehens:

„Israels Feldzug gegen die Terrororganisation ist legitim. ... Das freie Palästina 'vom Fluss bis zum Meer', nach dem eine internationale Linke ruft, würde es unter der Hamas nie geben, dafür aber einen Terrorstaat, in dem die Menschen versklavt würden und die Austilgung Israels oberstes Ziel wäre, denn genau das heißt 'from the river to the sea' – ein Land ohne Juden vom Jordan bis nach Haifa. Die Palästinenser stehen auch deshalb mit leeren Händen da, weil für ihre Führung eine Koexistenz mit den Juden nie in Frage kam und sie noch jedes Friedensangebot ausgeschlagen haben.“