Ukraine: Kehrtwende in Sachen Antikorruptionsbehörden

Wolodymyr Selenskyj gibt den ukrainischen Korruptionsermittlungsbehörden ihre Unabhängigkeit wieder zurück. Nach heftiger Kritik sowohl aus der Öffentlichkeit als auch seitens der westlichen Verbündeten kündigte der Präsident an, dem Parlament einen neuen Gesetzentwurf vorzulegen, der die erst diese Woche verabschiedete Neuregelung aufhebt. Welche Schlüsse sind aus der schnellen Wende zu ziehen?

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Hospodářské noviny (CZ) /

Vertrauen erschüttert

Selenskyj bemüht sich wegen des Drucks aus dem In- und Ausland nun um Schadensbegrenzung, konstatiert Hospodářské noviny:

„Selbst wenn das neue Gesetz noch so gut sein sollte – der Schaden ist bereits angerichtet. Es wird schwierig, das Vertrauen der eigenen Bürger, Soldaten und westlichen Partner wiederherzustellen. Eine unabhängige Korruptionsermittlung war, ist und bleibt eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass westliche Staaten und Institutionen überhaupt mit den Ukrainern sprechen, geschweige denn finanzielle Unterstützung leisten.“

NV (UA) /

Auch nur ein Mensch mit Stärken und Schwächen

Selenskyj verliert nun im Westen seinen Nimbus, schreibt Publizist Walerij Pekar in einem von NV übernommenen Facebook-Post:

„Der Westen hat Selenskyj zum ersten Mal so erlebt, wie wir ihn kennen – nicht als phantastischen Helden, der alle Tugenden und Heldentaten der Nation verkörpert, sondern als einen Menschen aus Fleisch und Blut mit persönlichen Stärken und Schwächen, dem es zufiel, den Widerstand von Millionen Helden anzuführen. Im westlichen Bewusstsein beginnt nun eine Entkopplung der Ukraine von Wolodymyr Selenskyj. Für sie ist das ein Kulturschock. Die Folgen sind derzeit nicht abzusehen.“

Helsingin Sanomat (FI) /

Freiheit in alle Richtungen verteidigen

Die deutliche Reaktion der Ukrainer hat Wirkung gezeigt, betont Helsingin Sanomat:

„Die Ukraine hat seit jeher eine starke Zivilgesellschaft, die bei Bedarf auch die Führung des Landes entweder durch Volksaufstände oder Wahlen ausgewechselt hat. ... Der Umfang der Versprechen, die Selenskyj am Mittwoch abgegeben hat, ist noch unklar. Finnland und andere Länder müssen jetzt deutlich machen, dass dieses unglückliche Gesetz gründlich und schnell geändert werden muss. ... Mit ihren Demonstrationen auf der Straße haben die Ukrainer erneut gezeigt, dass sie bereit sind, ihre Freiheit in in alle Richtungen zu verteidigen.“

gazeta.ua (UA) /

Solche Bürger kann keine Armee der Welt besiegen

Die Reaktion der ukrainischen Gesellschaft zeigt einmal mehr, wie grundlegend sich die Ukraine von Russland unterscheidet, schreibt Blogger und Offizier Jurij Kasjanow in einem von gazeta.ua übernommenen Facebook-Post:

„Es ist nicht wahr, dass die heutigen Proteste in der Ukraine Russland zugutekommen. Im Gegenteil – für Putin wäre ein neuer Maidan ein Albtraum. Das zeigt, dass er mit dem jahrelangen Krieg sein Hauptziel nicht erreicht hat: Er hat die Ukraine nicht in Russland verwandelt. Das zeigt auch, dass die Ukrainer nach wie vor freie Menschen sind, die ihr Schicksal selbst bestimmen. Und solche Menschen kann keine Armee der Welt besiegen.“