Hochverarbeitetes Essen: Forscher schlagen Alarm

Fettleibigkeit, Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen – das Risiko für solche Erkrankungen steigt laut Wissenschaftlern durch den Verzehr hochverarbeiteter Lebensmittel. In einer aktuellen Publikation in The Lancet rufen sie daher dazu auf, Ernährung auf Basis frischer und wenig verarbeiteter Lebensmittel zu fördern. Kommentatoren diskutieren, wo es besonders im Argen liegt und wie reagiert werden könnte.

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T24 (TR) /

Ein lukratives Geschäft

Die Schuld liegt nicht beim Individuum, urteilt der Arzt und Diabetes-Spezialist Şükrü Hatun in T24:

„Der Anstieg von stark verarbeiteten Lebensmitteln in der menschlichen Ernährung ist nicht auf einen Mangel an Willenskraft oder Verantwortungsbewusstsein der Menschen zurückzuführen, sondern auf die zunehmende wirtschaftliche und politische Macht der stark verarbeitenden Lebensmittelindustrie. ... Die im Vergleich zu anderen Lebensmitteln höhere Gewinmarge bei der Herstellung dieser Produkte ist der Schlüssel zum Verständnis der Expansion der Industrie. Die Konzentration der Gewinne auf bestimmte Konzerne und Branchen löst in kapitalistischen Volkswirtschaften einen strukturellen Wandel aus, der die Lebensmittelsysteme zunehmend auf stark verarbeitete Produkte ausrichtet.“

Irish Examiner (IE) /

Schulessen als hervorstechendes Negativbeispiel

Dass gerade Schulkantinen auf stark verarbeitete Lebensmittel setzen, verurteilt Irish Examiner:

„Für die meisten irischen Schulmahlzeiten kaufen die Anbieter schon vorverpacktes und aufbereitetes Fleisch, zu der sie einfach eine vorab gekaufte Soße mischen. Diese Mischung wird in Take-away-Verpackungen gefüllt und in diesen Verpackungen erhitzt. Die Kinder essen dann einige Stunden später aus der Take-away-Verpackung, nachdem das Essen oft über weite Strecken zu ihrer Schule transportiert wurde. Eine warme Mahlzeit wie diese steht auf der Nova-Skala [der Lebensmittelklassifikation] für hochverarbeitetes Essen ganz oben – sie ist wenig nahrhaft, nicht gut für die Umwelt und hat der lokalen Wirtschaft und der Landwirtschaft kaum oder gar keinen Nutzen gebracht.“

The Irish Times (IE) /

Nicht per se dämonisieren

Man sollte beim Thema hochverarbeitete Lebensmittel differenzieren, rät The Irish Times:

„Der Verzicht auf verarbeitete Lebensmittel ist ein Luxus, der Kosten, Zeit und Know-how erfordert – was sich nur wenige leisten können. Anstatt verarbeitete Lebensmittel per se zu verteufeln, sollten wir gemeinsam daran arbeiten, die Lebensmittel in unseren Regalen so gesund wie möglich zu gestalten, unter anderem durch bewährte Kennzeichnungsverfahren, die auf Nährstoffe wie Zucker, Fett und Salz abzielen. ... Ist die Lebensmittelverarbeitung schlecht für Sie? Nein, aber einige verarbeitete Lebensmittel sind es, andere nicht – und das wahrscheinlich aufgrund ihres Nährstoffgehalts und nicht aufgrund der Tatsache, dass sie in einer Fabrik hergestellt wurden.“

Die Zeit (DE) /

Macht der Lebensmittelindustrie brechen

Für Die Zeit haben die Lancet-Autoren einen entscheidenden Punkt getroffen:

„Politische Maßnahmen müssen darauf abzielen, die oligopolartige Struktur der Lebensmittelwirtschaft aufzuweichen. ... Druck auf die Lebensmittelindustrie auszuüben, ist der deutschen Politik fremd. Andere Länder sind da wesentlich weiter: Dänemark oder Großbritannien haben längst eine Zuckersteuer, in Brasilien prangen Warnzeichen auf Lebensmitteln mit zu viel gesättigten Fettsäuren, Zucker oder Salz. Die Intention des Lancet ist also richtig und wichtig, und sie trifft auf Deutschland in besonderem Maße zu: Es braucht eine von der Lebensmittelindustrie unabhängige Lebensmittelpolitik.“

El País (ES) /

Gesundheitskrise gemeinsam verhindern

Die bisherigen Maßnahmen einzelner Länder können laut El País nur der Anfang sein:

„Spanien hat stark verarbeitete Lebensmittel in Schulkantinen verboten. In Mexiko, wo jedes dritte Kind übergewichtig ist und 16 Prozent der Erwachsenen an Diabetes leiden, hat die Regierung den Verkauf von 'Junkfood' in Bildungseinrichtungen untersagt. In Chile müssen Unternehmen in ihrer Werbung Warnhinweise anbringen und vom Verzehr dieser Produkte abraten. ... Wenn wir jedoch verhindern wollen, dass das Risiko für die öffentliche Gesundheit zu einer Krise führt, sind weitere Maßnahmen erforderlich. Dabei sind sowohl die Hersteller verantwortlich – die Millionen für Werbung ausgeben und ihre Regulierung massiv verhindern wollen – als auch die Staaten, die Verkauf und Vertrieb überwachen.“

Le Monde (FR) /

Kampf gegen Tabaklobby zum Vorbild nehmen

Angesichts der immensen Kosten für die Gesellschaft muss die Politik durchgreifen, fordert Le Monde:

„Die Lösung erfordert einen besseren Zugang zu gesunden Lebensmitteln parallel zu einer stärkeren Besteuerung von schlechtem Essen. Zudem müssen Werbung und Marketing für Lebensmittel mit ungünstigem Nährwertprofil, besonders wenn auf Kinder abgezielt wird, stärker reguliert werden. Das sind Lösungen, die in Frankreich bislang auf großen Widerstand gestoßen sind. Es ist ein harter Kampf angesichts der gigantischen Mittel der multinationalen Lebensmittelkonzerne, die auf die gleichen Methoden zurückgreifen wie die der Tabakindustrie, die jahrzehntelang den wissenschaftlichen Diskurs diskreditiert und nicht gezögert hat, eigene schamlos verfälschte Studien zu erstellen.“