Australiens Social-Media-Verbot: Vorbild für Europa?

Am heutigen Mittwoch ist in Australien ein Gesetz in Kraft getreten, das unter 16-Jährigen die Nutzung von Social Media verbietet. Die Betreiber der Plattformen müssen sicherstellen, dass die Angehörigen dieser Altersgruppe kein Konto mehr anlegen können. Kommentatoren in Europa nehmen das zum Anlass, um über Sinn und Wirkung dieser Maßnahme nachzudenken.

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The Daily Telegraph (GB) /

Schlimmer als Nikotin

Der Labour-Abgeordnete Fred Thomas hofft, dass Großbritannien bald nachzieht, wie er in The Daily Telegraph schreibt:

„In England werden täglich mehr als 500 Kinder wegen Angstzuständen an psychologische Dienste überwiesen. Ein durchschnittlicher 12-Jähriger verbringt 29 Stunden pro Woche mit seinem Smartphone. ... Die Jugendlichen selbst bitten um Hilfe. Fast 90 Prozent der 13- bis 16-Jährigen geben an, dass sie versucht haben, ihre Smartphone-Nutzung einzuschränken. Sie wissen, dass es ihnen schadet. ... Wir haben Tabak reguliert, weil er süchtig macht und tödlich ist. ... Das ist eine gute politische Entscheidung, aber ehrlich gesagt, wenn ich einen Teenager hätte, wäre es mir sogar lieber, wenn er süchtig nach Zigaretten wären als nach Scrollen. Dann würde er wenigstens vor die Tür gehen.“

The Irish Times (IE) /

Interessant zu beobachten

Australien wird zum Testlabor, von dem Europa lernen kann, glaubt The Irish Times:

„Die Reaktion der betroffenen Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram, TikTok, Snapchat und YouTube wird von besonderem Interesse sein. Zu den Eigentümern dieser Plattformen gehören einige der weltweit größten und mächtigsten Unternehmen wie Meta und Alphabet. ... Die Social-Media-Unternehmen werden sich zwar an den Wortlaut des Gesetzes halten, aber wenn sie den Geist des Gesetzes nicht mittragen, wird es schwierig sein, dessen Ziele zu erreichen. Es ist davon auszugehen, dass Kinder unter 16 Jahren versuchen werden, das Verbot zu umgehen. ... Während Irland und andere EU-Staaten noch überlegen, wie sie vorgehen sollen, wird Australien zu einem wichtiger Testfall werden.“

Der Spiegel (DE) /

Auf die Stimmen der Betroffenen hören

Der Spiegel ist nicht überzeugt:

„Wenn man Jugendlichen den Zugang zu sozialen Medien erschwert oder gar ganz versperrt, nimmt man ihnen auch ein Stück gesellschaftliche Teilhabe. Diese Debatte lässt sich nicht im Hauruckverfahren lösen – und wird wohl bald auch die Gerichte beschäftigen. ... Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht. Wenn Deutschland tatsächlich etwas für den Jugendschutz tun will, sollte auf ein Hauruckverfahren verzichtet werden. Stattdessen verlangen demokratische Lösungen eine gesellschaftliche Debatte, bei der auch die Betroffenen, also Kinder und Jugendliche, angehört werden.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Fragwürdig und wirkungslos

Auch die NZZ hält wenig vom Verbot:

„Staatliche Eingriffe sind dann umso fragwürdiger, wenn ihre Wirkung zweifelhaft ist. Das Verbot dürfte ohne Mühe zu umgehen sein: Jugendliche werden sich mit dem Smartphone eines älteren Kollegen innert Sekunden Zugang zu Tiktok oder Instagram verschaffen oder das Altersregime mit VPN-Verbindungen ins Ausland aushebeln. Die Behörden verdrängen diese Realität. Wer Social Media blockiert, verringert die Bildschirmzeit kaum. Jugendliche weichen auf andere digitale Räume aus – auf Online-Games, Streams oder Foren, die ebenso toxisch sein können. Suchtverhalten, Stress und sozialer Druck bleiben bestehen, auch wenn einzelne Kanäle verschwinden.“

Corriere del Ticino (CH) /

Erwachsene sollten in den Spiegel schauen

Im Schweizer Kanton Tessin läuft eine Unterschriftensammlung für ein Handyverbot an Schulen. Corriere del Ticino erinnert an die Vorbildfunktion der Eltern:

„Die eigentliche Frage ist nicht, ob man Schülern die Handynutzung verbieten soll oder nicht. Sondern: Welches Verhältnis haben wir als Erwachsene zu dem Gegenstand, von dem wir wollen, dass die Kinder ihn zu Hause lassen? … Wir regen uns auf, weil die Kinder im Unterricht abgelenkt sind und unser Kind in der Pause 'mit niemandem redet', weil alle nur auf ihre Bildschirme starren. Und dann sitzen wir Eltern abends beim Essen, das Handy auf dem Tisch, beantworten alle drei Gabeln eine Nachricht und scrollen durch unsere Feeds, während unser Kind von seinem Tag erzählt. ... Wir schieben das Problem auf die Kinder ab, weil wir nicht den Mut haben, unser eigenes Problem zu sehen.“