Wahl in der Ukraine: Ist das realistisch?

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich zu Wahlen bereit erklärt. Damit reagierte er auf US-Präsident Donald Trump, der sagte, es sei Zeit für Wahlen in der Ukraine. Als Voraussetzung nannte Selenskyj jedoch, dass die USA und die Europäer für die notwendige Sicherheit sorgten. Kommentatoren beleuchten die Chancen für einen fairen Urnengang und sehen Trump am Zug.

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Wolodymyr Fessenko (UA) /

US-Politiker sollten ins Kriegsgebiet fahren

Eine Wahl unter den jetzigen Umständen hält Politologe Wolodymyr Fessenko auf Facebook für völlig realitätsfern:

„Ich würde nachdrücklich empfehlen, Vertreter der Trump-Administration als offizielle Berater der Zentralen Wahlkommission der Ukraine einzuladen, damit sie die Möglichkeit der Durchführung von Wahlen in der Ukraine während des Krieges bewerten und die praktische Vorbereitung dieser Wahlen unterstützen. Sie sollten nach Cherson fahren (und zwar nicht für zwei bis drei Stunden, sondern wenigstens für ein paar Tage), wo russische Drohnen Jagd auf Zivilisten machen, sowie nach Charkiw, Sumy, Nikopol, Dnipro, Saporischschja und Odessa - und vor allem an die Frontlinie (etwa bei Pokrowsk, Kupjansk oder Huljajpole)...“

Espreso (UA) /

Grobe Einmischung in innere Angelegenheiten

Der Politologe Mychajlo Bassarab nennt in einem von Espreso übernommenen Facebook-Post mehrere Argumente gegen Wahlen:

„Erstens: Das Thema Wahlen ist von Anfang an eine äußere Forderung und eine grobe Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine. Die Diskussion über Wahlen als Bedingung hat Russland begonnen. Der Feind braucht nicht das Wahlergebnis, sondern den Prozess – als weiten Raum für Sabotagen. ... Zweitens: Der Staat kann in den Wahlkampf eintreten, aber möglicherweise nicht aus ihm herauskommen. Sowohl innere Faktoren als auch feindliche Einmischung würden das vom Krieg geschwächte Land während des Wahlkampfs 'zerreißen'.“

Polityka (PL) /

In Kellern und Ruinen kann man nicht wählen

Polityka hält die Bedingungen für einen fairen Wahlkampf ebenfalls für nicht gegeben:

„In den Städten könnte dies teilweise gelingen. Aber es gibt auch Dörfer, die durch den Krieg von der Welt abgeschnitten sind, ohne Strom und Wasser, Menschen, die in Kellern und Ruinen leben und nur daran denken, wie sie den nächsten Tag überleben. Jeder Beobachter würde solche Wahlen zu Recht in Frage stellen. Seit dem ersten Tag des Krieges wird der Zugang zu den Medien von den Behörden eingeschränkt. All dies, um eine möglichst große Kontrolle über die Informationen, oder besser gesagt Desinformationen, zu haben, die dem Kreml ein besonderes Anliegen sind. Allein schon das macht Wahlen zu einer Farce.“

tagesschau.de (DE) /

Trump muss Waffenruhe durchsetzen

Mit seiner Forderung nach freien Wahlen in der Ukraine hat sich der US-Präsident selbst in die Pflicht genommen, kommentiert ARD-Korrespondent Florian Kellermann auf tagesschau.de:

„Nun sagt Selenskyj: Eine Wahl - von mir aus, wenn ihr, liebe US-Amerikaner, liebe Europäer, für die Sicherheit sorgt. Nur mit einer Waffenruhe sind Wahlen möglich. Das ist vernünftig. Wahlen wären nicht demokratisch und nicht fair, wenn die Kandidaten nicht ungefährdet auftreten könnten, wenn Wahllokale wegen Luftalarms geschlossen blieben. Wenn Hunderttausende in den Schützengräben ausgeschlossen wären. Eine Waffenruhe - das ist genau das, was US-Präsident Trump seit Langem fordert. Die Ukraine ist schon ebenso lange bereit, nicht aber Russland. Nun steht Trump in der Pflicht, den Kreml zu überzeugen.“

Echo (RU) /

Dieses Kalkül geht nicht auf

Politologe Wladimir Pastuchow sieht in einem von Echo übernommenen Telegram-Post fundamentale Unterschiede in den Positionen beider Präsidenten:

„Zwischen Trump und Selenskyi gibt es in der Frage zu den Wahlen eine kognitive Dissonanz. Wenn Trump von Wahlen redet, hat er die Wahl eines Nachfolgers von Selenskyj im Sinn, und wenn Selenskyj davon spricht, meint er vor allem seine eigene Wiederwahl und die Verlängerung der Legitimation. ... Eine logische Fortsetzung wäre als nächster Schritt Trumps direkte Forderung, dass es nicht einfach irgendwelche Wahlen geben müsse, sondern solche, an denen Selenskyj nicht teilnimmt. Sonst geht Trumps Puzzle nicht auf.“