Ai Weiwei erinnert auf Lesbos an Alan Kurdi

Reminiszenzen an ein Foto, das um die Welt ging: Der chinesische Künstler Ai Weiwei hat sich auf Lesbos fotografieren lassen - in der gleichen Haltung, in der die Wellen den ertrunkenen Flüchtlingsjungen Alan Kurdi im Herbst am Strand von Bodrum zurückließen. Kommentatoren zeigen sich beeindruckt von der Aktion.

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Libération (FR) /

Ein weiterer Beweis für unsere Unfähigkeit

Warum das Foto von Ai Weiwei, der wie einst Alan am Strandufer liegt, Unbehagen auslöst, versucht die linksliberale Tageszeitung Libération zu erklären:

„Vielleicht weil wir uns in unserem Innersten fragen, warum eine Szene nachgestellt werden muss, die in der Realität vielfach vorkommt. Am gleichen Wochenende sind 37 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, auf der Überfahrt zur Insel Lesbos im Ägäischen Meer ertrunken. Die Fotos von diesem Unglück sind genauso stark wie andere, die uns bereits zu Tränen gerührt haben. … [All diese Fotos] sollten ausreichen, um die Massen aufzurütteln. Unser Unbehagen angesichts der künstlerischen Inszenierung von Ai Weiwei belegt jedoch, dass dies nicht der Fall ist. Und dass wir der Realität nicht ins Auge sehen, obwohl alle Beweise des beispiellosen Dramas vor uns liegen. So bezeugen diese Beweise auch unsere Gleichgültigkeit und unsere Unfähigkeit, auf diese Notlage zu reagieren, deren Schatten in Form der kleinen gestrandeten Silhouette uns noch lange verfolgen wird.“

Le Temps (CH) /

Echtes Engagement, kein Opportunismus

Ai Weiwei liegt das Schicksal der Flüchtlinge ernsthaft am Herzen, zeigt sich die liberale Tageszeitung Le Temps überzeugt:

„Ist Ai Weiwei opportunistisch? Es wäre unfair, seine aufrichtige Absicht anzuzweifeln. Seit Anfang Januar lebt der Künstler und Dissident auf der Insel Lesbos, um tagtäglich über das Leben der Männer, Frauen und Kinder zu berichten, die versuchen, nach Europa zu gelangen. Sein Instagram-Account zeigt jeden Tag neue Fotos von den erschöpften Flüchtlingen und ist damit zu einer wahrhaftigen Kriegsmaschine geworden. Sein Ziel ist es, eine 2.0-Gedenkstätte mit den Hashtags refugees und safepassage einzurichten. Ein weiterer Beweis für sein Engagement: Der Verfechter der Meinungsfreiheit hat zwei Ausstellungen in Kopenhagen abgesagt, nachdem Dänemark ein Gesetz verabschiedet hatte, das der Regierung gestattet, alle Gegenstände von Flüchtlingen zu konfiszieren, deren Wert 1.300 Euro übersteigt.“