Parlamente dürfen über Ceta entscheiden

Die nationalen Parlamente der EU-Staaten sollen jetzt doch das Freihandelsabkommen mit Kanada ratifizieren. Zuvor wollte die Kommission nur das EU-Parlament über Ceta mitentscheiden lassen. Ein kluger Schachzug in diesem Konflikt um die Machtverteilung in Europa, loben einige Kommentatoren. Andere werten den Schritt gerade im Hinblick auf wachsende Europaskepsis als Fehler.

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Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Entmachtung des EU-Parlaments

Ceta durch die nationalen Parlament ratifizieren zu lassen, bringt die EU den Bürgern auch nicht näher, analysiert die Neue Zürcher Zeitung:

„Die EU schadet sich selber, wenn sie in einer Art Affekthandlung den eigenen institutionellen Rahmen einfach über den Haufen wirft. Das EU-Parlament ist eine demokratisch legitimierte Institution und darf als solche die Handelspolitik der Union ... gestalten und für die gesamte Union zeichnen. Die Rechtsgrundlage der EU sieht in Handelsfragen kein Anrufen der nationalen Parlamente vor. ... Die EU hat gegenwärtig bei vielen ihrer Bürger einen schweren Stand. Will sie bestehen, muss sie sich wohl in manchen Bereichen neu aufstellen, um der Entfremdung entgegenzuwirken. Dieses Ziel wird aber nicht erreicht, indem das EU-Parlament, das die Bürger repräsentieren sollte, nach Gutdünken ausgehebelt und den nationalen Parlamenten untergeordnet wird.“

Il Sole 24 Ore (IT) /

Juncker opfert die Einheit

Gerade nach dem Brexit-Votum hätte die EU Einhelligkeit beweisen müssen, schimpft Il Sole 24 Ore:

„Die Entscheidung der Kommission, die nationalen Parlamente über das Ceta-Abkommen abstimmen zu lassen, ist ein gravierender Fehler. Nicht nur, weil damit das Abkommen behindert und am Ende blockiert werden könnte, sondern vor allem, weil es die erste Entscheidung von politischer und symbolischer Bedeutung nach dem Brexit-Referendum ist, die schwerwiegende Folgen haben wird. Die Kommission hätte ein Zeichen setzen können, dass es die EU - trotz des Entscheids in Großbritannien - nicht nur gibt, sondern dass sie auch zusammenhält und geschlossen reagiert. Stattdessen bestätigt sie die Fragilität des Gemeinschaftsprojekts, das dank der Übermacht einiger und ihrer Interessen brüchig wird. ... Die EU lässt sich von einer Minderheit konditionieren. Eine Blindheit, die seit Jahren von vielen Zweiflern angeprangert wird.“

Financial Times (GB) /

Wichtiger Schritt gegen Europaskepsis

Eine weise Entscheidung Junckers, die nationalen Parlamente über Ceta entscheiden zu lassen, lobt die Financial Times:

„Die politischen Beziehungen der EU-Mitgliedstaaten mit seinem Zentrum sind derzeit so gereizt, dass es wenig Sinn macht, diese für ein Handelsabkommen zu strapazieren, das ohnedies nur begrenzte Auswirkungen haben wird. ... Die Wahl Großbritanniens, die EU zu verlassen, sollte in Brüssel wie in London zu einer Gewissensprüfung führen. Die verbreitete Stimmung gegen ein zentralisiertes Europa ohne Rechenschaftspflicht ist nicht auf Großbritannien begrenzt. Niemand bezweifelt, dass die EU über einen Großteil der Inhalte von Handelsverträgen bestimmen kann. Aber das bedeutet nicht, dass die Kommission versuchen sollte, diese Vereinbarungen durchzudrücken, anstatt Land für Land eine Ratifizierung zu erlauben. Auch wenn diese Entscheidung der Kommission in der Zukunft politische Prozesse verlangsamen und verkomplizieren wird, war es der richtige Schritt.“

tagesschau.de (DE) /

Erneute EU-Schlappe abgewendet

Der Rückzieher Junckers ist richtig, findet tagesschau.de:

„Jean Claude Juncker und seine Handelskommissarin Cecilia Malmström haben gerade noch rechtzeitig begriffen: Nicht alles was rein juristisch korrekt ist, sollte auch politisch umgesetzt werden. ... Gerade weil Ceta also ein Prototyp und Pilotprojekt ist - und weit mehr als ein Handelsvertrag, in dem es um den Rindfleisch und Käseexport geht - gehört dieses Abkommen vor die nationalen Parlamente. Das hätte Jean-Claude Juncker von vornherein erkennen müssen. Leider ist er nicht der politische Kommissionspräsident, als der er sich ausgibt. Sonst hätte er von vornherein den Weg der Offensive gewählt und Ceta als mitbestimmungspflichtig erklärt, statt jetzt seine rechthaberische Haltung zu korrigieren. Und ausgerechnet nach der Brexit-Entscheidung der Briten, die EU erneut zu schwächen. Durch viel Lärm um nichts.“

Der Standard (AT) /

Juncker hat nichts verstanden

Dass Juncker das Freihandelsabkommen Ceta nicht von den Parlamenten der EU-Staaten ratifizieren lassen will, ist Wasser auf die Mühlen der EU-Gegner, kritisiert die linksliberale Zeitung Der Standard:

„Hat Juncker irgendetwas begriffen? Da verabschiedet sich mit der zweitgrößten Volkswirtschaft ein - oftmals verkannt - wegen seiner Fachexpertise und Bedeutung in der Welt unersetzbares Mitglied nicht zuletzt wegen der Brüsseler Zentralisierungstendenzen aus der Union, und die EU-Kommission reagiert darauf, indem sie die Nationalstaaten aufs Abstellgleis manövriert. Da droht, vom britischen Orkan ausgehend, eine Sezessionswelle über die EU zu rollen, und Brüssel sorgt für zusätzliche Wogen. ... Die Sorgen der Bevölkerung, ob irrational oder berechtigt, ernst nehmen heißt: die Legitimierung erhöhen und die Prozesse transparent machen. Von beidem ist die Union weit entfernt. Hier geht es um politische, nicht um rechtliche Fragen.“

Süddeutsche Zeitung (DE) /

Abkommen soll in Brüssel entschieden werden

Es ist richtig, dass Kommissionspräsident Juncker die Abstimmung über Ceta dem EU-Parlament überlassen will, erklärt die Süddeutsche Zeitung:

„Da fegt ein Sturm der Entrüstung durchs Viertel, der sich immer stärker gegen Jean-Claude Juncker richtet. Dabei macht der Präsident der Europäischen Kommission lediglich seine Arbeit. In der EU ist seine Behörde für die gemeinsame Handelspolitik zuständig. Die Mitgliedsstaaten haben es so entschieden. Sie haben sich ebenfalls bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel einstimmig dazu bekannt, die beiden Abkommen weiter anzustreben. Juncker hat die Staats- und Regierungschefs angesichts der öffentlichen Kritik gefragt, ob sie das überhaupt noch wollten - und er hat einen Abbruch der Verhandlungen angeboten. Das haben die Regierungschefs abgelehnt. Jetzt müssen die EU-Staaten allerdings auch akzeptieren, dass Juncker die 28 nationalen Parlamente nicht über Ceta abstimmen lassen will.“