Showdown im Streit über Katalonien

Der spanische Senat wird am heutigen Freitag die von der Zentralregierung in Madrid vorgeschlagenen Zwangsmaßnahmen gegen die katalanische Regierung voraussichtlich absegnen. Kataloniens Regierungschef Puigdemont hatte am Donnerstag Neuwahlen abgelehnt und an seinen Abspaltungsplänen festgehalten. Ist eine friedliche Einigung überhaupt noch möglich?

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Il Sole 24 Ore (IT) /

Rajoy gibt nicht nach

Im Katalonien-Konflikt zeigt sich Spaniens Regierungschef weiter unnachgiebig, analysiert Il Sole 24 Ore:

„Es gab eine geringe Chance für einen Dialog zwischen Barcelona und Madrid, der zu Wahlen in Katalonien hätte führen können. ... Doch Rajoy hat nicht auf die Sozialisten gehört, die seine Minderheitsregierung unterstützen. Diese hatten gefordert, die Anwendung des Artikels 155 auszusetzen, sofern Puigdemont bereit gewesen wäre, Neuwahlen anzusetzen. Allerdings hatte der konservative Regierungschef Rajoy wenig Zweifel an seiner Haltung gelassen, als er am Mittwoch bei einer Sitzung im Kongress erklärte, Artikel 155 sei die einzige Antwort auf die Unabhängigkeitsbestrebung von Puigdemont. Der letzte Versuch eines Dialogs ist somit gescheitert. ... Bleibt abzuwarten, wie weit Rajoy gehen wird. Und wann in Katalonien Neuwahlen stattfinden werden. Die Entscheidung liegt nun bei Madrid.“

El Periódico de Catalunya (ES) /

Misstrauen überwinden, letzte Chance nutzen

Die Regierungschefs in Madrid und Barcelona müssen ihr gegenseitiges Misstrauen endlich überwinden, um eine weitere Eskalation zu verhindern, fleht El Periódico de Catalunya:

„Puigdemont hat bewiesen, dass er die Spaltung der eigenen Reihen riskieren würde, indem er durchaus bereit wäre, Neuwahlen anzukündigen und auf die einseitige Unabhängigkeitserklärung zu verzichten. Diese Chance [auf eine friedliche Einigung] scheiterte gestern noch am Misstrauen [zwischen den Regierungschefs in Madrid und Barcelona]. Heute wäre noch Zeit, das Misstrauen zu überwinden und damit eine neue Chance aufzutun. Der Ernst der Lage fordert staatsmännisches Handeln. Katalonien will weder die einseitige Unabhängigkeitserklärung noch den Artikel 155. Die Nachspielzeit läuft.“

Journal 21 (CH) /

Tiefpunkt noch nicht erreicht

Spaniens Premier Rajoy und Kataloniens Ministerpräsident Puigdemont stehen sich zunehmend unversöhnlich gegenüber, fürchtet Journal 21:

„Beide kennen das Wort 'Dialog' nicht. Die beliebten Vergleiche mit gelungenen Entlassungen in die Unabhängigkeit hinken deshalb. Die Voraussetzungen sind nicht die gleichen. In Madrid versteht man nicht, dass Katalonien vor allem eine gehätschelte 'Kulturnation' sein will, sofern die Kasse stimmt. Also hätte man ihr schon lange die gleiche Finanz- und (relative) Steuerhoheit zugestehen können wie den Basken. Diese haben sich nach langen Terrorjahren beruhigt. Es ist zu befürchten, dass es in Katalonien noch schlimmer werden muss, bevor es besser werden kann.“

La Vanguardia (ES) /

Vorsicht vor dem "Point of no Return"

Der katalanische Ministerpräsident sollte bei der Anhörung im spanischen Senat unbedingt besonnen auftreten, rät Chefredakteur Màrius Carol in La Vanguardia:

„Eine Volksweisheit besagt, dass man vor dem Meditieren erst aufhören muss, die Türen zu knallen. Anders ausgedrückt ist Reflexion erst möglich, sobald schlechte Laune, Groll und Wut weichen. Türen lässt man grundsätzlich besser angelehnt, denn das Leben ändert sich ständig und ein heutiger Wutanfall kann morgen zum lebenslangen Problem werden. ... Ein Teil der Unabhängigkeitsbewegung fordert vom Ministerpräsidenten Carles Puigdemont, er solle diese Woche im Senat ein deutliches Zeichen setzen und die Tür für immer zuschlagen, um eine Umkehr auszuschließen. ... Das ist nicht nur ein schlechter Rat, sondern auch der falsche Weg. Unter anderem, weil er nicht gehbar ist.“

NRC (NL) /

Rajoy muss die große Geste wagen

Spaniens Premier Rajoy ist unfähig, die Krise in seinem Land in den Griff zu bekommen, kritisiert Nick Ottens von der transatlantischen Plattform atlanticsentinel.com in NRC Handelsblad:

„Nie die Flucht nach vorne antreten, sondern warten, bis der Gegner Fehler macht - auf dieser Weisheit hat Rajoy seine Karriere aufgebaut. Kein Wunder, dass er in der katalanischen Frage kaum die Initiative ergreift. Doch der Einsatz ist nun sehr hoch: Nichts weniger als die spanische Einheit steht auf dem Spiel. ... Wenn Rajoy den Geist zurück in die Flasche bekommen will, dann muss er mit einer großen Geste kommen: Eine Verfassungsänderung, ein legales Referendum, eine Entschuldigung für die Polizeigewalt am 1. Oktober.“

Le Monde (FR) /

Propaganda des Wunschdenkens

Le Monde beschreibt die katalanischen Separatisten als verlogen und weltfremd:

„Seit Monaten hämmert das katalanische Fernsehen, TV3, dem Publikum die grob vereinfachende und lügnerische Unabhängigkeitspropaganda ein. Seit Monaten bedient es sich einer Opfer-Rhetorik, die groteskerweise glauben lassen will, dass Katalonien Opfer einer Neuauflage der Franco-Diktatur ist. Das ist nicht der Fall. Die Unabhängigkeits-Anhänger leben in einer Blase, sie wollen andere von ihrem Wunschdenken überzeugen und schlagen Kapital aus der Komplexität der Situation Kataloniens. Doch sie trauen sich nicht, eine regionale Umfrage unter der Kontrolle der spanischen Wahlkommission zu organisieren. ... Sie ziehen es vor, die schlimmstmögliche Politik zu betreiben.“

El País (ES) /

Rajoy hatte keine andere Wahl

Dass die Regierung den spanischen Senat aufgefordert hat, die katalanische Regierung abzusetzen, ist nach Ansicht von El País gerechtfertigt:

„Der außergewöhnlichen Herausforderung begegnet die Zentralregierung - in Abstimmung mit den wichtigsten Oppositionsparteien PSOE und Ciudadanos - mit einem ebenso außergewöhnlichen Vorgehen: den Senat anzurufen, um den katalanischen Ministerpräsidenten gemäß Artikel 155 der Verfassung durch eine Reihe von Maßnahmen daran zu hindern, weiterhin gegen das Allgemeinwohl zu verstoßen, sowie die Regionalregierung und das Parlament zur Einhaltung ihrer verfassungsgemäßen Pflichten zu bringen. Beide Institutionen haben die Legalität verlassen. Das Einschreiten gegen sie ist daher vollends gerechtfertigt. ... Allein Puigdemont und seine Gefolgschaft sind für diese Vorkommnisse verantwortlich.“

Der Standard (AT) /

Zentralregierung begeht Rechtsbruch

Die Regierung in Madrid greift in die verfassungsmäßig geschützten Rechte der Katalanen ein, klagt Der Standard:

„Die rebellische Regierung Kataloniens, die gegen das Verfassungsgericht ein Unabhängigkeitsreferendum hat durchführen lassen, wird entlassen. Die Verwaltung wird Technokraten aus Madrid unterstellt, die vor Ort keine Autorität genießen. Die sozialen Konflikte werden sich verschärfen. Die Zentralregierung übernimmt nicht nur die Kontrolle über Finanzen und Autonomiepolizei, sondern auch Bildung, Funk und Fernsehen. Das verheißt nichts Gutes, denn der Europarat vergleicht Rajoys Medienpolitik bereits mit Ungarn, Rumänien oder der Ukraine. ... Madrid kann in Zukunft außerdem Vetos gegen Beschlüsse des katalanischen Parlaments einlegen, Rajoys Verwalter unterstehen somit keinerlei demokratischer Kontrolle vor Ort.“

De Tijd (BE) /

Madrid schafft politische Märtyrer

Mit dem Eingriff der spanischen Regierung droht ein Gewaltausbruch, warnt De Tijd:

„Verhandlungen über die Zukunft von Katalonien sind unter diesen Umständen unmöglich geworden. Bislang war der Protest der Katalanen gewaltlos. Es gab nur brutale spanische Repression während des Referendums am 1. Oktober - übrigens unterstützt von der Europäischen Union. Doch wie lange der katalanische Konflikt noch gewaltlos bleiben kann, ist offen. Vermutlich nicht mehr lang. Spanien schafft auf diese Weise politische Märtyrer, und das wird alle weiteren Gespräche erschweren. Der einzige Ausweg sind politische Verhandlungen. Aber wer kann die noch erzwingen? Katalonien sicher nicht, Spanien will nicht, und Europa schaut weg. Die spanische Demokratie ist sehr brüchig geworden.“

Público (PT) /

Premier kann sich nicht alles erlauben

Madrid sollte jetzt nicht auf stur schalten, argumentiert der Historiker Rui Tavares in Público:

„Wer glaubt, dass es eine Lösung für die katalanische Frage geben wird, ohne dass sich beide Seiten an einen Tisch setzen und reden, der täuscht sich. ... Rajoy konnte bisher auf die Unterstützung der EU-Mitgliedstaaten zählen, vor allem im Europäischen Rat. Doch diese Unterstützung kann kaum als selbstverständlich angesehen werden, vor allem wenn die Repressionen gegen die Unabhängigkeit Kataloniens in eine neue Phase eintreten sollten. Auch die nationalen Regierungen sind empfindlich mit Blick auf die öffentliche Meinung in ihren Ländern. Und die europäischen Institutionen - die EU und der Europarat - werden Madrid früher oder später an die Verpflichtungen Spaniens im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention erinnern.“