Woher kommt der Terror von Christchurch?

Nach dem Angriff auf zwei Moscheen will Neuseeland schnell die Waffengesetze verschärfen. Ein 28-jähriger Australier hatte in Christchurch mindestens 50 Menschen erschossen und die Tat per Helmkamera live in die sozialen Medien gestreamt. Zuvor hatte er eine Kampfschrift mit rechtsradikalen Parolen online verbreitet. Kommentatoren beschäftigen sich mit den Wurzeln des Terrors.

Alle Zitate öffnen/schließen
Habertürk (TR) /

Postmodernes Kreuzrittertum

Das Attentat verdeutlicht eine neue Form des Terrors, die das Christentum instrumentalisiert, glaubt Kolumnistin Nihal Bengisu Karaca in Habertürk:

„Handelt es sich hier um einen blutrünstigen Psychopathen, der einen Mord begehen und ihn cool aussehen lassen will? Oder sind Manifest und Terrorakt Vorboten einer neuen Organisationsform, die gewalttätige Aktionen mit christlichen Codes und einer gegen Globalisierung und Modernismus gerichteten ultrarechten Ideologie verbindet? Ich denke, es handelt sich um letzteres. ... So wie die IS-Terrormiliz den Islam für ihre ketzerischen Auslegungen und Mordgelüsten instrumentalisierte, so sind wir hier mit einer 'Kreuzritter'-Mentalität des 21. Jahrhunderts konfrontiert. ... Klar ist, dass Politiker wie Trump, der die [rechtsextreme] Alt-Right-Bewegung in den USA fördert, Geert Wilders oder Le Pen zur Entstehung dieser Bewegung beitragen haben.“

Le Soir (BE) /

Machtlos gegenüber rechtsradikalen Tätern

Die Verbreitung rassistischer Verschwörungstheorien, wie die des rechtsradikalen Vordenkers Guillaume Faye, lässt sich nur schwer stoppen, glaubt Historiker Stéphane François im Interview mit Le Soir:

„Ich kann all diese Theorien dekonstruieren, aber ich werde niemals überzeugend sein. ... Guillaume Faye wurde mehrmals rechtskräftig verurteilt. Aber hat ihn das daran gehindert, weiterzumachen? Nein! ... Meiner Meinung nach kann man nur eines tun: diese Aktivisten überwachen und sie verhaften, bevor sie zur Tat schreiten. Zugleich wissen wir allerdings, dass ein Aktivist sein mörderisches Projekt so gut planen kann, dass die Polizeikräfte nicht auf ihn aufmerksam werden.“

Mérce (HU) /

Die Sprache des Terroristen ist in Ungarn Alltag

Die Worte, die der Terrorist in seinem 74 Seiten langen Manifest verwendet hat, kennen die Ungarn nur zu gut, bemerkt Chefredakteur András Jámbor vom linken Internetportal Mérce:

„Weiße Rasse, Invasion der Einwanderer, Kampf zum Schutz des Christentums, drohender Untergang der westlichen Welt. Diese Begriffe kippt die Regierungspropaganda jeden Tag über uns aus. Es ist kein Zufall, dass die regierungsnahen Medien, die auch einen einfachen Autounfall noch zum Terroranschlag hochstilisieren, jetzt sehr zurückhaltend sind. Das Internetportal Origo beispielsweise nennt ihn einen ehemaligen Tennislehrer. Es ist natürlich wichtig, das über ihn zu wissen. Nur am Ende des Artikels steht, dass es auch ein bisschen um die weiße Rasse ging.“

Yeni Şafak (TR) /

Zuschauer sind Mittäter

Was der Täter damit erreicht hat, dass er das Attentat live in die sozialen Medien übertrug, erläutert Yeni Şafak:

„Bis die Medienbehörden die Bilder verbieten konnten, wurden sie über diverse Netzwerke auf viele Mobiltelefone und Computer verbreitet. ... Diejenigen, die von diesem blutigen Attentat erfuhren, selbst wenn sie sich sagten 'Oh, mein Gott!' oder 'Was ist das für eine Bestialität?', dienten als Zuschauer der Mission des Attentäters. Jene, die diese Bilder über ihre eigenen Netzwerke verbreiteten, ihren Ehepartnern und Freunden schickten und auf ihren Profilen übertrugen, leisteten Beihilfe zum Attentat. ... Der Terror möchte uns damit eine Botschaft senden: In unserem visuellen Zeitalter siegt er, denn auch wir können zu seinem Boten werden.“

The Sunday Times (GB) /

Terroristen keine Bühne bieten

Dass dem Täter und seinen Ansichten nicht zu viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, fordert The Sunday Times:

„Wir sollten sicherstellen, dass Brenton Tarrant, der narzisstische, in Australien geborene Versager, der diese feigen Morde begangenen hat, niemals den Bekanntheitsgrad erreicht, den er sich so sehnlich wünscht. Anders Breivik, der norwegische Massenmörder, der 77 Menschen im Jahr 2011 tötete, schaffte es, dass Filme über ihn gedreht wurden. Und er besaß die Frechheit, seine Einzelhaft anzufechten. Damit scheiterten seine Anwälte letztlich beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Diesen Mördern gebührt ein einsames Dasein hinter Gittern - und sie verdienen es, in Vergessenheit zu geraten.“

Wedomosti (RU) /

Internet ist Tummelplatz für Psychopathen

Der scheinbare Widerspruch zwischen der neuseeländischen Idylle und der Brutalität des Terrorakts beschäftigt Wedomosti:

„Jetzt stellt sich die Frage, wie so eine Tragödie in einem Land passieren konnte, das durch Ozeane von den Krisenherden getrennt ist. ... Wirtschaftswachstum, ein hohes Wohlstandsniveau, eine reich beschenkte Natur und niedrige Kriminalität machten das Leben dort ruhig und beschaulich. ... Die Wiederholung der Aktion Breiviks, der im Juli 2011 in Norwegen 77 Menschen ermordete, zeigt, dass wirtschaftliche Blüte und offizielle Toleranz gegenüber Migranten und Flüchtlingen diesen keine Sicherheit garantiert. Die Tragödie von Neuseeland hat das hohe Psychose-Niveau gezeigt, das von einigen Teilen der sozialen Netze befördert wird.“

NRC (NL) /

Weltweite Vernetzung des Hasses

Vor einem schwerwiegenden Fehler warnt der muslimische LGBTQ-Aktivist Dino Suhonic in NRC Handelsblad die Beobachter in Europa:

„Manche Medien sehen den Anschlag als einen isolierten Fall. Aber wir müssen uns fragen, ob wir die transnationale rechtsextreme Bewegung ernst genug nehmen. ... Diese weltweite Bewegung hat eine lange Geschichte. Allerlei mythische Geschichten schaffen ständig fiktive Grenzen zwischen dem 'rückständigen' Osten des Islam und der 'jüdisch-christlich westlichen Zivilisation'. Die Rhetorik in Tarrants Manifest wird auch von manchen Politikern im Westen kultiviert. Daher dürfen wir die Hassrhetorik gegen Muslime und gegen Migranten nicht losgelöst von terroristischen Anschlägen wie diesem betrachten.“

Mehr Meinungen

Irish Examiner (IE) / 18. März 2019
  Allgegenwart von Hassbotschaften erschwert Prävention (auf Englisch)