Idlib: Kann Erdoğan in Moskau etwas erreichen?

Erdoğan und Putin treffen sich am heutigen Donnerstag in Moskau, um nach einer Lösung im Syrien-Konflikt zu suchen. Der türkische Präsident will insbesondere eine Waffenruhe für Idlib erreichen, wo die Türkei und Russland am Rande einer direkten Konfrontation stehen und mehr als eine Million Menschen auf der Flucht sind. Doch Journalisten sehen Erdoğan geschwächt nach Moskau reisen.

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Kommersant (RU) /

Türkei hat Rückhalt verspielt

Der türkische Präsident tritt Putin ohne internationale Rückendeckung gegenüber, beobachtet Kommersant:

„Wie sich zeigte, hat sich unter den internationalen Akteuren niemand gefunden, der für Erdoğan die Kastanien aus dem syrischen Feuer holen möchte. Die Nato beschränkte sich auf eine freundlich-unverbindliche Erklärung mit dem Sinngehalt: 'Klärt das unter euch.' Europa hat zu verstehen gegeben, dass es sich die türkische Erpressung mit den Flüchtlingen nicht gefallen lässt. Erdoğan hat es in den letzten Jahren fertiggebracht, es sich mit allen führenden Playern in West wie Ost zu verderben - vom Iran bis Israel, von Saudi-Arabien bis Indien. ... Seine treuen Freunde (Erdoğan nennt sie Brüder) kann man an einer Hand abzählen, aber das ist keine Streitmacht, die man gegen Russland aufbieten kann.“

G4Media.ro (RO) /

Verlierer unter sich

Auch der rumänische Historiker Ionuț Cojocaru glaubt auf G4 Media, dass Erdoğan gegenüber Putin wenig Chancen hat, die Lage zu beeinflussen:

„Schafft es die Türkei, Russland aus dem Norden Syriens zu verdrängen? Gelingt es dem türkischen Präsidenten, diese Gleichung zu lösen, die er selbst verkompliziert hat? Sehr wahrscheinlich nicht. Die Frage ist, wie lange die türkische Gesellschaft die Todesopfer in Nordsyrien noch schweigend hinnehmen wird. Die Türkei hängt in der ganzen Geschichte mit drin und viel mehr verlieren kann sie nicht mehr, so wie auch die USA und Russland nicht. Doch die allergrößte Verliererin ist die EU. Sie ist der Flüchtlingskrise nicht gewachsen.“

Radio Kommersant FM (RU) /

Ankara hat genügend Druckmittel

Radio Kommersant FM sieht Erdoğan am längeren Hebel:

„Ankara wird aus einer Position der Stärke sprechen. Die Türkei verfügt über Drohnen, die Migranten und russische Gaspipelines nach Südeuropa, die sie bei Bedarf blockieren kann. Wie? Ganz einfach, indem sie kein Gas mehr ankauft. Für Moskau würde das extrem teuer. Und womit Russland antworten könnte, ist eher unklar.“

The Guardian (GB) /

Putin wird nicht zurückweichen

Erdoğan sollte nicht auf Zugeständnisse Putins setzen, glaubt hingegen The Guardian:

„Er will unbedingt ein Ende des Syrienkriegs, in den russische Streitkräfte seit fast fünf Jahren mit erheblichen finanziellen und menschlichen Kosten involviert sind. Er möchte einen Sieg für seinen Vasallen Assad in Idlib, der letzten von den Rebellen gehaltenen Provinz, und für seine expansive Regionalpolitik. Er will außerdem einen wegweisenden strategischen Triumph auf Kosten des Westens und besonders der USA verkünden können. Putins Preis, um Erdoğan ungeschoren davonkommen zu lassen, könnte dessen vollständiger oder teilweiser Rückzug aus Idlib und anderer von den Türken besetzten syrischen Gebiete westlich des Euphrats sein und aus der von Kurden dominierten nordöstlichen Region.“

Daily Sabah (TR) /

Russen haben die Türkei nicht verstanden

Ankara wird Idlib um jeden Preis verteidigen, glaubt die regierungstreue Tageszeitung Daily Sabah:

„Ob mit oder ohne die Unterstützung der EU und der USA, die Türkei wird nicht von ihrer Verpflichtung gegenüber Idlib abrücken. An diesem Punkt hat sich Russland mit der Reaktion der Türkei verkalkuliert. Der Punkt ist, dass die Russen nicht verstanden haben, wie die Türkei ihre Prioritäten setzt: Zwischen den menschlichen Verlusten bei der Verteidigung der letzten Bastion syrischer Sunniten und den langfristigen Auswirkungen einer ethnischen und religiösen Säuberung, die Assad und die iranischen Mullahs vorgenommen haben.“